Astronautenaussagen zufolge ist die Chinesische Mauer das einzige von Menschenhand geschaffene Bauwerk, das von einer Raumkapsel aus sichtbar ist. Leider werde ich dies nicht nachprüfen können, denn bis Mr. Branson mit seinem Spaceship den Touristentransport ins Weltall aufnimmt bin ich entweder zu alt oder habe noch nicht genug kleine Münzen angehäuft, um mir die Reise leisten zu können. Vielleicht schaffe ich es aber ja noch auf traditionellem Wege, einen Blick auf die teilweise schon 2500 Jahre alte Gemäuerschlage zu werfen, die chinesisch übrigens Chang Cheng heißt. In der Zwischenzeit muss ich mich wohl mit einem Spiel gleichen Namens, vertrieben hier in Deutschland von Huch, von tenkigames aus Italien stammend, begnügen. Ersonnen hat Chang Cheng Walter Obert, der vor über 15 Jahren einmal als Co-Autor bei 'Jagd der Vampire' (Rav.) in Erscheinung getreten ist.
Bis zu vier Provinzfürsten errichten also Teilstücke der Mauer. Sie ist auf chinesischer Seite in Abschnitte mit drei bis sechs Mauerstücken aufgeteilt, denen mongolische Abschnitte gegenüberliegen, die in etwa gleich groß, aber nicht deckungsgleich sind. Dort haben sich schon, aber noch versteckt, mongolische Reiter in Stellung gebracht. In die chinesischen Provinzen wird noch jeweils ein so genannter Prestigemarker (Werte 0-4) platziert, der dann zusammen mit der Größe den Wert der Provinz ausmacht. Die Werte streuen also zwischen drei und zehn und sind jedes Mal anders.
Los geht es mit sechs Provinzen. Sind drei davon gewertet, kommen drei neue dazu, dann noch einmal drei, so dass schließlich die 6000 Kilometer lange Mauer durch zwölf Provinzen und 52 Mauerstücke widergespiegelt wird. Zu einer Wertung kommt es, wenn die Mauer in einer Provinz komplett gebaut ist. Dazu stehen pro Spielzug fünf mögliche Aktionen zur Verfügung:
Zwei Mauern setzen ist der immer wiederkehrende Hauptzug des Spiels. Aufgelockert wird das nur durch die Aktionskarten, von denen jeder sechs Stück besitzt. Damit können der Wert der Provinz verändert werden, virtuelle Mauerteile eingezogen oder reale zerstört werden, Mauerteile getauscht sowie andere Aktionskarten entfernt werden. Gerne würde man eine Karte mit dem letzten Mauerstück legen, denn dann könnte sie nicht nachträglich zerstört werden und die Mehrheitsverhältnisse wären auch klar. Aber leider klappt das nicht immer. Und es zählen nicht alle Aktionskarten in einer Provinz, denn gleiche heben sich auf. Eine wertvolle Architektenkarte, die zwei zusätzlichen Mauerstücken entspricht, zu verlieren, ist schon ein herber Verlust.
Die besonders wertvollen Provinzen sind in der Regel umkämpft, dort kommen oft auch die Doppelmauer, die einzige Möglichkeit gleichzeitig zwei Mauerteile in eine Provinz zu setzen, und der Turm zum Einsatz. Dieser hat eine interessante Doppelfunktion. Zum einen reserviert er einen Bauplatz neben sich, ist also quasi eine Doppelmauer mit noch der Möglichkeit der Ablage einer Aktionskarte, zum anderen wehrt er angreifende Mongolen ab. Die schon in Stellung gebrachten Mongolen rennen nämlich nach kompletter Fertigstellung der Mauer gegen diese an. Dabei erhält derjenige mit der Mehrheit der Mauerstücke aus Sicht der mongolischen (!) Provinz zwei bis vier Minuspunkte. Das wird oft der mit der Mehrheit aus Sicht der gegenüberliegenden chinesischen Provinz sein, muss es aber durch die nicht deckungsgleichen Grenzen nicht sein.
Um die Mongolen etwas besser einschätzen zu können, darf jedes Mal beim Setzen einer Mauer das verdeckte liegende Reiterheer angeschaut werden. Dies ist meiner Meinung nach eine unsinnige Regel. Denn erstens ist es immer ein schreckliches Gewusel, das das Ganze in die Länge zieht. Schließlich wird die Mauer im Endausbau über einen Meter lang, so dass der Zugriff auf das Plättchen schon mal schwierig werden kann. Zweitens kann man sich sowie so nicht alle zwölf Heerstärken merken. Und drittens ist die Spanne mit zwei bis vier Minuspunkten nicht so breit, dass man extrem aufmerksam sein müsste. Eine in meinen Augen weitere unnötige Regel ist mit der Doppelmauer verknüpft. Beim Setzen erhält man für jede angrenzende Provinz, mongolisch oder chinesisch, einen Punkt. Dies sind maximal vier, in der Regel drei, wenn es blöd kommt nur zwei. Auch dass ist keine Spanne, die eine solche Regel nötig machen sollte.
Wollte der Autor damit das wenig abwechslungsreiche Setzen der Mauern etwas aufpeppen? Das ist viel besser mit dem verdeckten Legen der Aktionskarten und die Spannung beim Aufdecken gelungen. Aber davon hat jeder nur sechs Stück und jede auch nur einmal. Hier mehr, da weniger, hätte dem Spiel wahrscheinlich gut getan. Chang Cheng ist also ein Mehrheitenspiel mit einer interessant klingenden Spielidee und einer schönen Umsetzung, wenn auch die Mauerteile nur aus grauem Plastik sind. Aber es ist nicht anspruchsvoll genug, denn die Mauerabschnitte sind zu klein gewählt und es bildet sich, wie gesagt ein repetitiver Spielablauf heraus. Es bietet zwar durch die Aktionskarten taktische Möglichkeiten, aber auf Dauer wird das Spiel nicht genug Abwechslung bieten. Daran ändert auch die Variante mit Ereigniskarten nichts. Zwei beliebige von vier vorhandenen werden vor der Partie ausgewählt. Wenn dann z.B. die Karte 'Kaiserliche Prämie' dabei ist (jede nicht verwendete Aktionskarte bringt zwei Punkte), werden die Aktionskarten auch noch zurückgehalten.
Chang Cheng ist wegen der Interaktion sinnvoll eigentlich nur mit drei oder vier Spielern. Für zwei Spieler wurde wie so oft in solchen Fällen, auf einen neutralen Dummy zurückgegriffen. Aber auch damit kann das Spiel nicht richtig überzeugen. Recht angenehm ist die Spieldauer von maximal 45 Minuten. Damit kann man sicher Gelegenheitsspieler locken, die auch an den Möglichkeiten, die sie mit den Aktionskarten haben, ihren Spaß haben werden. Aber für strategisch denkende Spielefreaks ist Chang Cheng wohl eher nichts. Schade eigentlich für einen so jungen, ambitionierten Verlag, aber mit Chang Cheng wird TenkiGames nicht die große Aufmerksamkeit erlangen. (mw)
Steckbrief Chang Cheng |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Walter Obert | Tenki Games | 2 - 4 Spieler | ab 10 Jahre | ca. 45 Minuten | Giuseppe Rava |