Chicago, Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Schon seit knapp 10 Jahren gilt in ganz Amerika ein absolutes Alkoholverbot. Der Genuss von Alkohol jedoch ist tief in der Kultur verankert und kaum jemand gibt das Trinken auf. Der Gesetzesbruch wird zum Kavaliersdelikt. Illegale Schnapsbrennereien sprießen aus dem Boden und werden genauso schnell wieder geschlossen. Vor allem aber wird der Alkohol über die kanadische Grenze geschmuggelt. Die besondere geographische Lage am Michigan See macht daher Chicago zu einem Paradies der Schmuggler und zum Hauptquartier der großen Gangsterbosse. Aber die rivalisierenden Gangsterbanden ringen um die Vorherrschaft in der Stadt. In den Straßen tobt ein offener Krieg und die Polizei sieht tatenlos zu. Von diesem Hintergrund zehrt Gangster, eine Amigo-Neuheit von Thorsten Gimmler. Alle Spieler schlüpfen in die Rolle von Gangsterbossen und versuchen den größten Einfluss in den einzelnen Bezirken Chicagos zu gewinnen.
Die Stadt ist in insgesamt zehn bzw. neun Bezirke bei nur drei Mitspielern aufgeteilt. Jeden Bezirk wird eine der fünfzehn (!) jeweils unterschiedlichen Punktetafeln zufällig zugeordnet. Durch die Vielzahl der Punktetafeln gleicht keine Partie der anderen und es ist keine vorgefasste Strategie möglich, ein Szenario, das mir besonders gut gefällt und daher abwechslungsreiche Partien erwarten lässt. Die Punktetafeln, die die Belohnungen für die Mehrheiten der Banden in den Bezirken anzeigen sind auch nicht 08/15. Da gibt es mal für den zweiten Platz mehr Punkte als für den ersten oder für den dritten genauso viel wie für den Spitzenplatz oder die Punktezahl für eine Position ist noch unbestimmt und wird erst mit Hilfe von so genannten Casinokarten (Werte 1-6) bei der Abrechnung festgelegt. Auch die Mehrheitsverhältnisse bestimmen sich in ungewohnter Weise. Wer mehr Leute im Stadtbezirk hat ist einflussreicher. Ok, das ist noch normal. Aber bei Gleichheit an Gangstern ist der vorne, der später rein gekommen ist. Da ist man in einem Stadtbezirk die ganze Zeit führend und dann kurz vor der Abrechnung wird die Situation auf den Kopf gestellt. Dieser Rangmechanismus aber macht es andererseits schwer, mal eben den besser dotierten zweiten Platz einzunehmen. Dazu später mehr.
Um die einzelnen Stadtbezirke zu erreichen, steht den Banden ein Auto zur Verfügung, in das in der ersten Runde sieben, dann sechs und schließlich in der letzten fünf Gangstermitglieder einsteigen. Die Startposition des Autos sowie zweier weiterer Gangster wird ausgelost. Mit Hilfe von drei Bewegungskarten (ein, zwei oder drei komplett auszufahrenden Abschnitte) werden die Autos über Verbindungsstraßen zwischen den Stadtbezirken bewegt. Die Verbindungsstraßen sind leider nicht einfach zu erkennen, da hätte man sicher grafisch eine bessere Lösung finden können. Zu fahren ist eine Möglichkeit des Zuges, die andere, ein Gangstermitglied aus- oder einsteigen zu lassen. Aber das gilt auch für fremde Gangster, denn jedes Auto hat einen Kofferraum, um einen unliebsamen Gegner zumindest temporär kalt zustellen.
Überhaupt, die Autos sind nicht ohne, haben sie doch bis zu zwei Sonderausstattungen, die sie aufwerten. Sei es der doppelt so große Kofferraum, der Motor, der einen zusätzlichen Bewegungsschritt ermöglicht oder die Tommy Gun (Kosename für die zur damaligen Zeit herausragende Thompson Maschinenpistole), die ein Einladen auch aus dem Nachbarbezirk erlaubt. Eine Sonderausstattung besorgt man sich an der Gold Coast, direkt am Michigan See, wo man dann auch gleich seinen Kofferraum an der Kaimauer entleeren kann. Der Kofferraum hilft auch das Problem mit dem zweiten Platz zu lösen (s.o.). Man muss nur geschickt Gangster, fremde und eigene, ein- und ausladen, dann klappt's.
Sind bei einem Spieler die Bewegungskarten aufgebraucht, darf er sie wieder umdrehen und erneut verwenden. Gleichzeitig wird zufällig ein Stadtbezirk ermittelt, der eine der acht Doppelmarker für doppelte Punkte erhält. Sind alle verteilt, kommt es zur Wertung. Aber blöd, gerade wenn man eine Wertung auslösen kann und will, erscheint einer der bestechlichen Polizisten und nichts passiert.
Hört sich bis hierhin ja alles ganz viel versprechend an. Aber jetzt kommt der Pferdefuß. Die Wertung kann frustrierend sein und alle angestellten Überlegungen, mit möglichst geringem Einsatz an Mitteln möglichst viele Punkte zu erzielen, werden ad absurdum geführt. Da wären zum einen die Doppelmarker. Zwei Stadtbezirke bleiben außen vor. Wenn man sich gerade dort engagiert hat, schaut man in die Röhre. Dann gibt es vielleicht nur sieben statt 14 Punkten, ein herber Unterschied. Und wenn das sogar zweimal passiert... Zum zweiten die unbestimmten Punktezahlen. Ob man da eine Eins oder Sechs, sprich vielleicht zwölf Punkte, genauso drastisch. Wofür hat man sich dann da vorher angestrengt? Und vor allem wertvolle 90 Minuten des Spieleabends verbraucht. Wenn man weiß, dass eine Partie so laufen kann, zieht man vielleicht etwas Spaß daraus, beim nächsten Mal nur noch wild durch die Gegend zu fahren, um möglichst viele Gangster einzusammeln und dann im Hafenbecken zu entsorgen. Aber das kann doch nicht Sinn der Sache sein.
Einen Vielspieler wird Gangster aufgrund der viel zu zufälligen Auswirkungen und des wenig abwechslungsreichen Spielablaufs kaum ansprechen. Aber auch die Familie wird wegen des Themas des Spiels nicht viel mit Gangster anfangen wollen. Die Zielgruppe ist also irgendwo dazwischen angesiedelt, aber ob das reicht ein Erfolg zu werden? (mw)
Steckbrief Gangster |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Thorsten Gimmler | Amigo | 2 - 5 Spieler | ab 10 Jahre | 60 - 75 Minuten | Robert Nippoldt |