Arler ErdeArler Erde

Arle? Wo ist das? Wer außer unseren ostfriesischen Lesern hätte dies vor dem Herbst 2014 gewusst, als Arler Erder von Uwe Rosenberg im Feuerland-Verlag erschienen ist? Arle, das ist ein kleines Nest von wenig mehr als 1000 Einwohnern in Ostfriesland, nördlich von Aurich und unweit der Stadt Norden gelegen. Vielleicht sind Sie ja im Urlaub daran vorbeigefahren, wahrscheinlich aber haben Sie die Hinweisschilder auf die seit 1972 eingemeindete Ortschaft gar nicht beachtet. Inzwischen hat Arle jedoch seine internationale Bekanntheit gesteigert. Sicherlich werden sich Rosenberg und sein Verleger Frank Heeren darüber ein wenig amüsieren, wenn amerikanische oder asiatische Brettspielfans den Namen ihres neuen Spiels auf den Lippen führen.
Fuchs und HaseDie komische Vorstellung, dass weltweit Tausende von Geeks einem global eher unbedeutenden Flecken Erde in Norddeutschland zumindest indirekt Beachtung schenken, mag ein Anreiz dafür gewesen, Arler Erder auf den Weg zu bringen. Zugleich sind die beiden in Aurich aufgewachsen und familiär in der Region um Arle verwurzelt, es gibt also auch einen sentimentalen Hintergrund, über den sich Interessierte mithilfe eines fast 40-seitigen (!) Beihefts aus der Feder Rosenbergs näher informieren können. Doch stellt sich die Frage, ob Arler Erder spielerisch mehr ist als die Reminiszenz an eine Gegend, in der sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen.

Vielschichtige StrategienArler Erder ist ein komplexes Strategiespiel für 1-2 Spieler. Es ist eine Fortschreibung der Rosenberg'schen Linie von Spielen mit mehr oder weniger landwirtschaftlichem Thema ("Agricola", "Ora et Labora", "Die Glasstraße", "Caverna") und rund um Mechanismen, die den Spielern vor allem die Aufgabe stellen, verfügbare Ressourcen zu mehren und durch Weiterverarbeitung in lukrative Siegpunkte umzumünzen ("Le Havre", "Vor den Toren von Loyang"). Als Weiterentwicklung kann Arler Erder also nicht besondere Originalität beanspruchen, die innovativen Aspekte sind eher in Details und vor allem in der thematischen Stimmigkeit zu suchen.
Als Spieler werden wir in die Zeit um 1800 zurückversetzt. Allein oder in Konkurrenz mit einem Mitspieler bauen wir über neun Runden jeweils eine ostfriesische Dorflandschaft auf, entwickeln ihr landwirtschaftliches Potenzial und nutzen die natürlichen Ressourcen für Warenhandel und Textilverarbeitung. Fünf Runden finden im Sommer, vier im Winter statt. Für jede Jahreszeit gibt es 15 Aktionsmöglichkeiten, von denen nur eine in beiden Phasen identisch ist. In zwei Runden können die Spieler also zwischen insgesamt 29 unterschiedlichen Aktionen wählen. Eigentlich sind diese sogar potenziell alle in einer Runde im Angebot, da einer der Spieler als einmalige Sonderaktion auch ein Aktionsfeld der anderen Jahreszeit besetzen kann, dafür jedoch u. U. auf das Recht des regelmäßig wechselnden Startspielervorteils verzichtet. Jede Runde verläuft in drei Phasen: Nach der Vorbereitungsphase, in der die Arbeiter unter Beachtung der jeweiligen Startspielerposition in Stellung gebracht werden, wird jeweils abwechselnd ein Arbeiter eingesetzt, bis jeder seine vier Spielsteine auf dem Spielplan untergebracht hat.
BremenAm Schluss jedes Halbjahres kommt es zur Bestandaufnahme: Im Herbst wird Getreide und/oder Flachs geerntet, Schafe und Kühe bringen Nährwerte, die man neben dem Torf für den kommenden Winter als Versorgung benötigt. Im Frühjahr gibt es in den Ställen Nachwuchs und die Deichschafe werden geschoren. Auch zu diesem Zeitpunkt muss für den eigenen Bedarf Nahrung zur Verfügung stehen. In beiden Halbjahren erhalten die Spieler in dieser Phase darüber hinaus Gelegenheit, ihre während der Runde beladenen Fuhrwerke zu leeren, um so an veredelte Waren und Güter zu gelangen.

Eine Auswahl an PlättchenSoweit der noch übersichtliche Rahmen von Arler Erder, doch der Teufel steckt im Detail. Die schiere Masse an Möglichkeiten, Zusatzaktionen und Spezialregeln erschwert ohne Zweifel den Einstieg in das Spiel und stellt klar, dass mit diesem Spiel nur die glücklich werden, die ausreichend Erfahrung mit komplexen Spielen gesammelt haben. Für all diese hat der liebe Gott vor das Vergnügen die intensive und womöglich mehrfache Lektüre der 20-seitigen und gut aufgebauten Spielregel gesetzt. Ich kann an dieser Stelle nur einen stark verkürzten Überblick geben.
Die Spieler bemühen sich, dem Meer durch Deichbau fruchtbares Land abzutrotzen. Schritt für Schritt versetzen sie dazu die Deichlinie nach Norden. Auf dem so gewonnenen Land können sie Schafe, Kühe und auch Pferde weiden lassen oder Getreide- bzw. Flachsäcker pflügen. Flachs wird neben Wolle und Tierhaut für die Textilproduktion benötigt. In unterschiedlichen Arten von Ställen können sich die Tiere um Nachwuchs kümmern. Holz, Lehm und Rohstoffe werden in umliegenden Städten weiterverarbeitet bzw. veredelt. Dazu benötigt man Fuhrwerke und Kutschen, die auf einem eigenen "Scheunen"-Tableau untergebracht werden. Durch Verbesserung und Anschaffung weiterer Handwerksgeräte wie Reusen, Webstühle oder Äxte lassen sich einzelne Aktionen aufwerten und für die Schlussabrechnung Siegpunkte sichern. Des Weiteren sind Moore zu entwässern und Torf zu stechen. Torf dient zum Heizen im Winter, mit einem Torfkahn kann man es darüber hinaus gegen jede andere Art von Rohstoff eintauschen.Durch das Anlegen von Forstwäldern wird der Holznachschub gesichert, späterhin können sie zu lukrativen Parks ausgebaut werden. Wenn die Ernährung gesichert und das eigene Wohl durch Handwerk und Handel gemehrt wurde, lassen sich Gebäude wie die Schmiedestube oder die Mühle errichten, die neben Siegpunkten u. a. weitere Umtauschmöglichkeiten oder andere Vorteile bieten. Wer Rohstoffe im Überfluss hat, kann gar regional bekannte und geschichtsträchtige Bauwerke wie die Arler Bonifatius-Kirche oder die Burg Berum in Hage errichten.

TorfkahnIm Anschluss an den vierten Winter kommt es zur Schlusswertung, die man mithilfe eines Wertungsblocks vornimmt. Hier erhält man Punkte für aus den Rohstoffen hergestellte Kleidungsstücke, für Geräte in der Scheune, für die bei Handel und Transport erworbene Reiseerfahrung, für Handwerksgeräte und Waren sowie für die Tiere. Bei den Letztgenannten wird vor allem möglichst gleichmäßige Entwicklung belohnt, da man für sie gestaffelt Siegpunkte erhält (von 0 für die Tiere der Art mit den meisten Exemplaren bis 2 Punkte für die Tiere der Art mit den wenigsten Vertretern). Sollte man den Deich nicht optimal ausgebaut oder nicht sämtliche Moorgebiete abgebaut haben, sind Minuspunkte zu verrechnen. Das Spiel gewinnt derjenige, der die meisten Punkte erringen konnte.

SpielerauslageArler Erder ist ein herausforderndes Spiel. Es bedarf der Muße, sich mit dem Übermaß an Möglichkeiten bekanntzumachen, um überhaupt Strategien entwickeln zu können. Dazu empfiehlt es sich, das Spiel mehrere Male mit einem festen Spielpartner zu erkunden. Nach spätestens drei Partien stellt sich auch dank des klaren Rundenablaufs ein gewisser Flow ein, zumal die grundlegenden Mechanismen des Einsetzens und der Bestandsaufnahme aufgrund ihrer thematischen Plausibilität intuitiv verständlich sind. Das Spielgefühl ist positiv, da die Versorgungsleistungen überschaubar sind und es hier kaum zu einem Mangel kommt. Mit zunehmender Spielerfahrung durchschaut man die strategischen Anforderungen, die darin bestehen, sich jeweils neu für eine Kombination der unzähligen Wege, Siegpunkte zu generieren, zu entscheiden und diese klug zu verfolgen. Das komplexe Räderwerk der einzelnen Mechanismen ist aus einem Guss und dient so der Planbarkeit der eigenen Züge. Der Spielreiz rührt maßgeblich vom Ausprobieren her, das dann Schritt für Schritt um konkrete Reaktionen auf die Strategien des Mitspielers ergänzt wird. Man kann in bestimmten Phasen die Züge seines Gegenübers vorausahnen und durch geschicktes Agieren attraktive Aktionen vor dem Gegner besetzen. Doch wirkt diese Konkurrenz nicht destruktiv, da genügend Alternativen zur Verfügung stehen und in beiden Jahreszeiten die Möglichkeit besteht, durch Nachahmung für einen Obolus bereits besetzte Aktionsfelder ebenfalls aktivieren zu können. Angesichts der Fülle ist es gut, dass man Arler Erder maximal zu zweit spielen kann, da jede Spielerzahl darüber hinaus das Spiel zu einem qualvollen Unterfangen werden ließe. Das Solospiel ist ohne große Veränderungen zu bewerkstelligen, es erlaubt das reizvolle Erkunden spezifischer Strategien, um dem als herausragend bezeichneten Richtwert von 110 Punkten zumindest nahezukommen.

GebäudeArler Erder besitzt somit viele bereits bekannte Tugenden der Spiele aus Uwe Rosenbergs Feder. Besonders hervorzuheben ist die direkte Interaktion und die innovative Aufteilung des Spielablaufs in zwei Halbjahre, die jeweils spezifische Aktionsmöglichkeiten bieten. Dadurch, dass ein Spieler in einer Runde als Sonderaktion auf ein Feld des anderen Halbjahrs ausweichen kann, werden interessante Spielzüge möglich, die in einer Partie für überraschende Wendungen und maximale Variabilität sorgen können. Die Spieler können z. B. durch die Währung "Torf" und mithilfe des Torfkahns bewusst Engpässe auffangen, um ihre Strategien effizient weiterzuverfolgen. Auf der Haben-Seite stehen darüber hinaus die hervorragende reichhaltige Ausstattung des Spiels, das Unmengen an Holzmaterial, Pappmarkern und Spielertableaus enthält. Die grafische Gestaltung des Materials ist zugleich funktional und liebevoll. Ausgesprochen liebevoll ist auch die thematische Verankerung von Arler Erder: Der gesamte Spielablauf und jedes Detail folgen nicht nur einer mechanischen Logik, sondern sind Ergebnis eingehender historischer Recherche. Man merkt dem Spiel an, dass Autor und Verleger viel Herzblut in dieses Projekt investiert haben. Die Verbundenheit zur Heimat, hier und da ironisch gebrochen, ist offenkundig.

WagenArler Erder ist ohne Frage ein sehr gutes Spiel, vor allem für diejenigen, die den auch hier unverkennbaren Stil Rosenbergs schätzen. Es ist konsequent als Zweipersonenspiel konzipiert und sticht damit das umständliche 2x2-Spiel des früheren Vor den Toren von Loyang (2009) mühelos aus. Das Design ist zudem überzeugender und zwingender als das von Die Glasstraße (2013), das strategische Tiefe vermissen ließ. Doch eignet sich Arler Erder paradoxerweise nicht zum Spielehit, die Vorzüge können nämlich auch als Nachteile interpretiert werden. Das lässt sich an zwei Beispielen aufzeigen: Da ist zum einen das skurrile, aber keineswegs massentaugliche Thema. Sicherlich ist alles wunderschön akribisch umgesetzt, aber wer außer Uwe Rosenberg kann es sich schon leisten, seiner abgelegenen Heimat in einem teuren Strategiespiel ein Denkmal zu setzen? Zum anderen ist Arler Erder eben nur für maximal zwei Personen ausgelegt, die sich viel Zeit nehmen müssen, um die Feinheiten des Menüs herauszuschmecken. Wer nur gelegentlich zu zweit spielt, ist ohne Zweifel mit einem Agricola (2007) oder einem Caverna (2013) besser bedient, für notorische Spielerpärchen jedoch mögen Preis und Thema nicht so anziehend wirken wie bei anderen Rosenberg-Spielen zuvor. Daher gebührt dem verlegerischen Wagemut aller Respekt und schon allein deswegen ist dem Spiel zu wünschen, dass es kein Nischendasein fristen muss. (thb)

Steckbrief
Arler Erde
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Uwe Rosenberg Feuerland 1 - 2 Spieler ab 14 Jahre 60 - 120 Minuten Dennis Lohausen