Irgendwo in Mittelamerika, eine kleine Grenzstadt mitten im Nirgendwo. Die Sonne steht flirrend, fast drohend am Himmel und niemand kann sich der erbarmungslosen Hitze entziehen. Auch die sechs Touristen nicht, die sich mit ihren vielleicht etwas zu groß geratenen Koffern in Richtung der kleinen Grenzstation schleppen. Unsicher, was sie wohl erwarten wird, betreten sie den Raum. Nur nicht auffallen, nur jetzt nicht auffallen. Eigentlich ist der Zeitpunkt nicht schlecht gewählt, schließlich hält der Dorfsheriff gewöhnlich um diese Zeit seine Siesta und ist nicht an einer genaueren Kontrolle interessiert. Aber heute, der Himmel weiß warum, mustert er die Koffer ziemlich eingehend. Dann zeigt er auf den braunen Lederkoffer und sagt nur ein einziges Wort. 'Aufmachen'.
In Zeiten des Schengener Abkommens sind diese Szenen in Europa ziemlich selten geworden. Was will man auch etwa von Holland nach Deutschland schmuggeln, außer Tomaten vielleicht oder Stangen von Zigaretten, die man allerdings auf jedem zweiten Flohmarkt bei den Vietnamesen noch billiger kaufen kann. In Mittelamerika sieht das hingegen ganz anders aus. Da gibt es den wunderbar sanften Tequila, oder die handgedrehten Zigarren, für die man im regulären Handel Unsummen hinblättern muss. Ganz zu schweigen von den Goldstatuen aus den alten Mayapyramiden, die sowieso nur schwer zu bekommen sind und deren Ausfuhr strengstens verboten ist. Da verlieren die Souvenirs, die ganz legal ausgeführt werden dürfen, die vielfältig verwendbaren Krüge, die schön anzusehenden Maracas (wir haben sie immer nur Rasseln genannt) und die eleganten Sombreros doch ihren Reiz. Aber dennoch, auch damit lassen sich ertragreiche Geschäfte machen, Kleinvieh macht schließlich auch Mist.
Mit dieser kleinen Einführung ist schon eine Hauptkomponente des neuen Kosmos Spiels 'Hart an der Grenze', ein meiner Meinung nach äußerst passender, mehr als zweideutiger Titel beschrieben. Die Waren, legal oder illegal, die jeder der drei bis sechs Touristen versucht außer Landes zu schaffen und zu Geld zu machen. Die zweite Komponente sind die liebevoll gestalteten, aufklappbaren Koffer aus Blech. Da freut sich auch das Auge aufgrund der haptischen Auffrischung und ich kann mir vorstellen, dass der eine oder andere dieses Spiel nicht nur, aber auch wegen des 'Catan'-Koffers erwirbt. Für das Spiel als solches sind die Koffer allerdings nur ein Gimmick, wenn auch ein schöner, man wäre aber auch bequem ohne sie ausgekommen.
Das Spielprinzip ist schnell erklärt. Insgesamt werden drei Runden gespielt, in denen jeder der Mittouristen reihum einmal die Rolle des Sheriffs übernimmt. Zu Beginn jedes Zuges legt man beliebig viele der immer zur Verfügung stehenden fünf Warenkarten in den Koffer. Man merkt bald, dass die Karten wie vorgesehen längs in den Koffer gelegt den Nachteil haben, nur schwer wieder raus zu bekommen sind. Deswegen ist es sinnvoller, die Karten quer hinein zu legen. Das sieht zwar nicht so schön aus, ist aber viel praktischer. Wie gesagt, die Metallkoffer sind sowieso nur ein Gimmick. Dann sagt man dem Sheriff die genaue Anzahl der Waren an zusammen mit einer legalen Sorte, z.B. vier Sombreros. Ob man vier Sombreros oder etwas ganz anderes in den Koffer gepackt hat, ist zunächst einmal egal, wir werden aber später sehen, dass man sich nicht zu sehr von der Wahrheit entfernen sollte.
Man will von Hause immer die Wahrheit sagen, so dass man sich die ersten Male auch schon mal vertut und zwei Krüge und ein Maracas ansagt, aber das bekommt man ziemlich schnell in den Griff. Nach der Ansage aller kommt der Sheriff ins Spiel. Er sucht einen der Koffer aus, den er Öffnen möchte. Wenn nicht schon vorher bei der Auswahl der Warenkarten, so kommt doch zumindest jetzt Psychologie ins Spiel. Welchen Koffer nehme ich denn? Nur zwei Sombreros, der Besitzer hat doch bestimmt nur so wenig angesagt, weil er was zu verbergen hat. Aber andererseits könnten die vier Krüge auch stimmen, schließlich haben wir hier im Lande eine große Menge davon, weit mehr als Sombreros. Na gut, überprüfe ich halt die drei Maracas. Dem Besitzer des Koffers fällt die Kinnlade herab. Alle anderen freuen sich, haben sie doch nun (fast) nichts mehr zu befürchten und alle in den Koffer gelegten Gegenstände können zu Geld gemacht werden. Obwohl, es gibt ja zwei Möglichkeiten. Zum einen, die Ansage des Beschuldigten stimmt tatsächlich, dann gibt es sogar eine Entschädigung wegen falscher Anschuldigung. Zum anderen, sie ist falsch. Was nun? Hatte ich nicht in der linken Hosentasche noch ein paar Scheine in der Landeswährung? Der Sheriff hat doch bestimmt eine große Familie, und dann das mickrige Gehalt. Eine kleine Bestechung unter Freunden. Man versucht also mit Geld, eine gewisse Menge erhält man zu Beginn, den Sheriff dazu zu überreden, den Koffer ungesehen passieren zu lassen. Anderenfalls muss für jeden falsch angesagten Gegenstand eine Strafe (an die Bank) gezahlt werden, z. B sechs für eine Flasche Tequila, die einen potentiellen Wert von neun hat.
Was also anbieten, was als Sheriff fordern, ohne dass die Gegenseite einen Rückzieher macht. Zumal für den Sheriff dies die einzige Einnahmequelle in diesem Zug ist. Allerdings hat er ja kein Wissen darüber, was die Souvenirs im Koffer für einen Wert haben, er muss also ins Blaue hinein raten. Als Tourist kann ich immer bis zu dem Betrag gehen was die Gegenstände wert sind. Am Ende springt zwar dann kein Gewinn heraus, aber es muss auch keine Strafe gezahlt werden. Jeder Dollar, der mit einem geringen Angebot gespart werden kann, ist Gewinn für die eigene Kasse. Auch gilt zu bedenken: Mit einer zu zahlenden Strafe fällt man gegenüber allen Mitstreitern zurück. Der Gewinn mit dem Sheriff geteilt, verbessert die Situation zwar nicht, verschlechtert sie aber auch nicht. Gerade diese Bestechungsversuche machen einen großen Reiz des Spiels aus. Wie sich beide Seiten hart an die Grenzen des Sinnvollen und Möglichen annähern. Und wenn das Ganze dann noch mit den passenden Sprüchen garniert wird, kommt Stimmung auf. 'Du willst mehr als sechs haben? Kriegst du nicht. Na gut, ich geb' dir auch sieben.'
Die einzige Einnahmequelle ist nicht ganz richtig. Einmal im Spiel, darf er einen Koffer beschlagnahmen, d.h. er darf alle falsch angesagten Gegenstände daraus entnehmen und zu seinen eigenen dazu legen. Wenn man dabei den richtigen erwischt! Allerdings sollte man mit der Beschlagnahme nicht bis zur letzten Runde warten, denn dann wissen alle, dass so etwas kommen wird und werden sich entsprechend zurückhalten, so dass die Wirkung der Beschlagnahme eher verpufft.
Nachdem also jeder einmal in der Runde Sheriff gewesen ist, gilt es die nächste wichtige Entscheidung zu treffen. Die Gegenstände direkt zu Geld machen oder auf den großen Gewinn am Ende hoffen. Bis zu drei Karten dürfen nämlich beiseite gelegt werden, um sie an Ende zum doppelten Wert zu verkaufen. Aber der Hasenfuß, nur eine bestimmte Anzahl pro Gegenstand, von allen Spielern zusammen, kann verkauft werden. Und verkaufen tut zunächst derjenige, der die meisten dieser Gegenstände beiseite gelegt hat. Da kann es dann passieren, dass die schöne Goldmaske am Ende gar nichts wert ist.
'Hart an der Grenze' ist ein reines Zockerspiel mit einer ganzen Menge Psychologie im Spiel, das uns in unseren Runden ein Menge Spaß gemacht hat. Es spielt sich zu dritt genauso gut wie zu sechst. Dann kommt nämlich noch die Zusatzregel ins Spiel, dass man einmal eine zweite Kontrolle durchführen darf. Deswegen findet sich oben das eingeklammerte 'fast'. Bei fünf Konkurrenten ist die Wahrscheinlichkeit, einfach durch die Zollkontrolle zu schlüpfen, natürlich etwas größer. Ärgerlich, wenn man gerade dann mit einem Koffer voll illegaler Waren gestellt wird, obwohl man doch nur drei harmlose Krüge angesagt hatte. 'Hart an der Grenze' ist sowohl als Familienspiel geeignet als auch in einer Vielspielerrunde, wenn nicht Strategie sondern Zocken ohne besonderen Tiefgang im Vordergrund stehen soll. Das Spiel ist kurzweilig und bleibt bis zur Schlusswertung spannend, da sich meist erst dann herausstellt, wer schließlich das meiste Geld einsacken konnte. 'Hart an der Grenze'hat seinen Platz auf der Empfehlungsliste sicherlich voll und ganz verdient.
Zum Schluss muss ich noch auf einen Produktionsmangel aufmerksam machen. Die Karten sind so gestaltet und bedruckt, dass bei Gegenlicht die Vorderseite durchschimmert, also erkennbar ist, um welche Karte es sich handelt. Das darf natürlich nicht sein, gerade wenn man sie für einen Bestechungsversuch auf die Hand genommen hat und anschaut. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Mangel in späteren Auflagen korrigiert wird. (mw)
Steckbrief Hart an der Grenze |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
André Zatz, Sergio Halaban | Kosmos | 3 - 6 Spieler | ab 10 Jahre | 40 - 70 Minuten | Michael Menzel |