Ich muss zugeben, dass ich persönlich mit dem Begriff der Ehre nach japanischem Verständnis wenig anfangen kann. Zum Glück weiß ich mich da in guter Gesellschaft mit den meisten Europäern. Man kennt vielleicht noch den Begriff des Hara-kiri, ein ritueller Selbstmord zur Wahrung des Gesichts, aber was genau dahinter steckt, bleibt, zumindest mir, verborgen. Dies umso mehr, wenn wir in die Zeit des feudalen Japans zu Beginn des 16. Jahrhunderts zurückgehen, mit seinen Elitekriegern, den Samurais, oder den mächtigen Daimyos, lokale Kriegsherrn, denen die Samurais nur zu gerne dienten. Wo der Ehrenkodex sogar vorschrieb wie ein Schwert, die Seele des Samurais, zu führen ist oder auch, dass ein handwerklich perfekt gearbeitetes, im Kampf erprobtes und bewährtes, ehrenhaftes Schwert mehr wert sein konnte als eine ganze Provinz. Einen gewissen Einblick in die damaligen Verhältnisse vermittelt das neue Amigo Kartenspiel EHRE DER SAMURAI, das hier rezensiert werden soll. Im Grunde genommen ist es allerdings kein neues Spiel, sondern die Wiederveröffentlichung des vor sechs Jahren im amerikanischen Verlag Gamewright erschienenen HONOR OF THE SAMURAI, dessen Bekanntheit ich hier aber nicht voraussetzen kann und will. Zum Vergleich der beiden Spiele am Ende der Rezension mehr.
EHRE DER SAMURAI ist, wie gesagt, ein Kartenspiel, bestehend aus 110 Karten der verschiedensten Arten. Den meisten Karten gemeinsam sind verschiedene Zahlenwerte für Ehrenpunkte, KI, d.h. ein Maß für geistige Stärke, und Kampfesstärke. Jeder der drei bis sechs teilnehmenden Samurai erhält eine entsprechende Samurai-Karte und eine Daimyo-Karte, den Kriegsherrn repräsentierend, dem er dient. Diese beiden Karten legt er so übereinander vor sich ab, dass daran anschließend zwei waagerechte Kartenreihen gebildet werden können, die sogenannten 'Häuser'. In diese Häuser kommen dann Okugatas, ehren- und geistvolle Ehefrauen, natürlich nur eine pro Haus. Dann Krieger, bis zu fünf pro Haus, die im Kampf und bei der Verteidigung gebraucht werden. Im Daimyo-Haus und nur dort eine mächtige Burg, die viel zur Ehre und Verteidigungsstärke beiträgt. Weiterhin Leibwachen für den jeweiligen Hausherrn und Besitztümer, die Ehren bringen wie z.B. ererbte Schwerter der Ahnen. Bezeichnender Weise ist der Besitz der im 16. Jahrhundert aufkommenden Schusswaffen zwar mit einem großen Stärkegewinn verbunden, schlägt aber auch mit -20 Ehrenpunkten zu Buche.
Der Sinn der Karten in den Häusern wird, so hoffe ich, durch den Spielablauf klar. Wer an der Reihe ist, zählt zunächst in Phase 1 seine Ehrenpunkte in beiden Häusern zusammen. Diese werden mit entsprechend gestückelten Pappplättchen 'ausgezahlt'. Vorteile für den, der Okugatas und ehrenvolle Besitztümer in seinen Häusern hat. Spielziel sind nämlich 400 Ehrenpunkte. In Phase 2 werden dann maximal fünf Kartenaktionen durchgeführt, pro jeweils drei KI eine. Durch den Samurai stehen, auch bei sonst leerem Haus, immer zwei Kartenaktionen zur Verfügung. Als Kartenaktion gilt das Spielen einer Karte, z.B. eine Okugata ins Haus legen, das Ziehen einer neuen Karte bis zu einem Handmaximum von sieben Karten oder das Abwerfen einer Karte. Nach den Kartenaktionen kann noch eine Erklärung abgegeben werden und jetzt geht es in medias res. "Mein Daimyo ist nun Shogun" ist eine dieser Erklärungen. Der Shogun war der Führer des ganzen Landes, was wiederum mit einem Zugewinn an Ehre verbunden war. Dies wird im Spiel durch die Shogun-Karte symbolisiert, auf der abhängig von der Spieleranzahl zusätzliche Ehrenpunkte verzeichnet sind. So ehrenvoll das Shogun-Amt ist, so gefährlich ist es auch. Denn ein Shogun wie auch ein Daimyo mit Burg kann von einem anderen Daimyo angegriffen werden, die zweite Art einer Erklärung. Hierzu werden jeweils alle Stärkepunkte in den Häusern gezählt. Pro drei darf ein normaler Würfel benutzt werden, maximal sechs. Das höhere Würfelergebnis bestimmt den Sieger, wobei durchaus auch einmal vier gegen sechs Würfel gewinnen können. Der Verlierer muss sein gesamtes Haus räumen, es sei denn, er oder ein anderer Mitspieler für ihn spielt eine Karte 'Gesicht wahren'. Sollte der Daimyo tatsächlich sein Haus verlieren, hat nun der Samurai keinen Herrn mehr, dem er dienen kann. Folglich erhält er auch keine Ehrenpunkte mehr, eine untragbare Situation. Zwei Möglichkeiten zur Auflösung hat er nun. Er spielt eine neue Daimyo-Karte aus und bringt damit seine Welt wieder in Ordnung oder er erklärt "Ich verbünde mich mit ...". Somit ist er nun zwar nur zweiter Samurai eines Daimyo und erhält nur die Hälfte der Ehrenpunkte, aaaaber
Oben hatte ich ja schon die Ereigniskarte 'Gesicht wahren' erwähnt. Weitere Ereigniskarten, d.h. Karten ohne Ehren-, KI- und Stärkepunkte sind z.B. Ninja-Attentäter. Damit kann ein Daimyo, vorzugsweise der Shogun, aber auch ein Samurai, heimlich still und leise unter Verlust des gesamten Hauses um die Ecke gebracht werden. Wenn nun ein zweiter Samurai, den ersten Samurai eines Daimyo umbringt, steigt er auf und hat ja nun plötzlich wieder einen obersten Kriegsherrn mitsamt dessen Haus. Ein Attentat gelingt bei einem Würfelwurf von drei oder mehr, steht allerdings eine Leibwache Schwert bei Fuß nur bei fünf oder sechs, verbunden mit dem Tod des Beschützers. In diesem Fall muss der ehemals erste Samurai 'nackt' wieder von vorne beginnen, wie auch sonst, wenn ein Samurai getötet wurde. Da wird er doch vielleicht lieber, sofern er kann, seinen Kontrahenten einen Daimyo ausspielen und ihn so wieder unabhängig machen. Muss ich noch erwähnen, dass der Einsatz eines Ninja-Attentäters unehrenhaft ist und 25 Ehrenpunkte kostet? Genauso wie der beim Elite Ninja-Dieb, der zwei Besitztümer (keine Okugatas) stehlen bzw. der normale Ninja-Dieb, der nur ein Besitztum stehen kann, dafür aber auch nur 15 Ehrenpunkte vernichtet. Eine weitere, heftige Ereigniskarte ist die Entehrung, die einen Kontrahenten immerhin 75 Ehrenpunkte kostet. Sie kann durch ein 'Gesicht wahren' auf 30 Ehrenpunkte Verlust reduziert werden bzw. durch einen Ehre wahrenden Selbstmord ganz negiert werden. Aber in dem Fall ist das komplette Haus verloren. Ob das besser ist?
Ich hoffe, dass durch meine Ausführungen deutlich geworden ist, dass in EHRE DER SAMURAI eine ganze Menge an Möglichkeiten steckt, wobei ich noch nicht einmal alle aufzeigen konnte. Diese werden sich auch nicht gleich im ersten Spiel alle offenbaren. Zudem muss man davon ausgehen, in den ersten Spielen doch hin und wieder ein Blick in die Regeln werden zu müssen. Im Spiel wird man zunächst versuchen sich zu entwickeln, Ehre, KI und Stärke anzusammeln, aber sich irgendwann auch zu höheren Aufgaben, sprich Shogun berufen fühlen. Was wiederum den Neid der Konkurrenten hervorruft und schon steht man ohne Daimyo da. Dann zeigt sich das große Manko des Spiels. Die vielen Möglichkeiten kann man nur dann ausnutzen, wenn man die entsprechenden Karten gezogen hat. Es ist schon frustrierend Runden lang keinen neuen Daimyo zu finden und spielen zu können, wenn der Nachbar (übertrieben) einen nach dem anderen auf den Ablagestapel entsorgt. Andererseits, wie oben angedeutet, hat man sich gerade mühevoll zum Shogun hochgearbeitet und freut sich auf die zusätzlichen Ehrenpunkte, schlummert bestimmt schon irgendwo in den Kartenhand der Gegner ein Ninja-Attentäter, der auf seinen meist todbringenden Einsatz wartet. Da hilft nur eine, im gewissen Rahmen mögliche Planung, dergestalt, dass man z.B. einen weiteren Daimyo in der Hinterhand hat und sein Haus neu ordnet. Dieses Auf und Ab, als Shogun an der Spitze stehen, dann wieder ganz unten anfangen, macht einen großen Teil des Reizes von EHRE DER SAMURAI aus. Aber eine Partie kann, wie erwähnt auch in Frust enden. Insbesondere ist eine Partie in voller Besetzung anfällig dafür. Dann sind die 60-90 Minuten Spieldauer verlorene Zeit. Am meisten Spaß hat uns das Spiel zu viert oder gar zu dritt gemacht. Fazit: EHRE DER SAMURAI ist ein mit vielen taktischen Feinheiten ausgestattetes Kartenspiel, aber eher für den anspruchsvollen Samuraikrieger.
Die Unterschiede zwischen dem Original bei Gamewright und dem Amigo Spiel sind minimal. Die Karten sind in der neuen Ausgabe schöner, lebhafter, ansprechender und durch Gebrauchshinweise spieldienlicher gestaltet, aber von der Verteilung und den Ehren, KI und Stärkepunkten völlig identisch. Dafür ist die Ausstattung z.B. normale Würfel gegenüber Symbolwürfel, etwas spartanischer, was aber auch dem Preis zugute kommt. Äußerst positiv zu vermerken ist, dass nun die Start-Daimyos, die zu Beginn verteilt werden, nahezu gleiche Werte aufweisen. Früher konnte man mit fünf aber auch 30 Ehrenpunkten starten. Negativ meiner Meinung nach ist eine Änderung beim Elite Ninja-Dieb, der zwei Besitztümer stehlen kann. In der Amigo-Ausgabe kann er dies aus zwei beliebigen Häusern, was aber unlogisch ist, da er sich nicht gleichzeitig an zwei Orten aufhalten kann. Dadurch wird die Karte zu stark und man sollte sie nur wie im Original, zum Stehlen nur aus einem Haus, verwenden. (mw)
Steckbrief Ehre der Samurai |
Autoren | Verlag | Spieler | Alter | Spieldauer | Gestaltung |
Scott Kimball | Amigo | 3 - 6 Spieler | ab 12 Jahre | 60 - 90 Minuten | Alexander Farquharson, Barbara Spelger |