San Gimignano

Wer heute etwas auf sich hält, trägt eine diamantbesetzte Rolex-Uhr am Handgelenk, hat eine Yacht in Monte Carlo liegen und geht ohne seine schwarze American Express Centurion nirgendwohin. Solcherlei Statussymbole waren natürlich im Mittelalter unbekannt, was aber nicht heißt, dass man seine Macht und seinen Reichtum nicht auf andere Art zeigen konnte, z.B. mit hohen Türmen. So genannte Geschlechtertürme, nach der Devise 'schöner, mächtiger, höher' errichtet durch mächtige Adelsfamilien, gaben im Mittelalter der kleinen Stadt San Gimignano im Herzen der Toskana ein unverwechselbares Stadtbild. Heute kann man noch ein gutes Duzend dieser Türme bewundern. Erst mit wachsender Macht der organisierten Zünfte schränkten diese den Bau ein. Aber mit entsprechendem Einfluss in den Zünften war es dennoch möglich, an eine der begehrten Baugenehmigungen zu kommen.

Immer drei der vier Zünfte sind auf den 16 großen sechseckigen Spielplanteilen abgebildet. Abhängig von der Anzahl der Mitspieler wird ein Grundgebiet ausgelegt und die restlichen Hexteile verteilt. Dann erhält noch jeder 20 runde Spielsteine, die Einfluss erheischenden Familienmitglieder repräsentierend, und zehn Türme. Dies sind relativ schwere Original-Steine von schlichter, eleganter Schönheit der wegen ihrer vielfältigen Baukästen bekannten, ostdeutschen Firma Anker. Wesentlicher Bestandteil dieser Steine ist allerdings Leinöl, das einen für empfindliche Nasen unangenehmen, um nicht zu sagen stinkenden Geruch verbreitet. Bei SAN GIMIGNANO ist es mir zum ersten Mal passiert, dass auf meine Frage nach einer weiteren Partie die Antwort "Nein bloß nicht, das stinkt mir zuviel" gegeben wurde. Irgendwie bezeichnend.

AnkersteinDie Spielregeln sind knapp und schnell erklärt. Wer an der Reihe ist, schickt zunächst ein Familienmitglied (einen Spielstein) in eine beliebige Zunft. Jede Zunft kann maximal zwei aufnehmen. Dann wird, sofern noch vorhanden, ein Spielplanteil angelegt, wobei wie auch beim Grundgebiet nie zwei gleichartige Zünfte aneinanderstoßen dürfen. Und schließlich kann noch ein Turm gebaut werden. Voraussetzung dafür ist, dass genau vier verschiedenartige Zünfte über Kante verbunden ein zusammenhängendes Gebiet bilden (in einer Variante: vier Zünfte in einem zusammenhängenden Gebiet) und sich dort jeweils mindestens ein Familienmitglied aufhält. In eines der Gebiete, das zuvor leer geräumt wird, kommt dann der Turm. Spielende ist, wenn eine Familie den zehnten Turm gebaut hat oder es keine möglichen Bauplätze mehr gibt. Unnötig zu erwähnen, dass die baufleißigste Familie gewinnt.

SAN GIMIGNANO entwickelt sich zunächst langsam, denn erst frühestens in der vierten Runde können ja Türme gebaut werden. Die bedeutet aber nun nicht, dass die ersten Runden unwichtig sind, ganz im Gegenteil. Hier wird schon die Vorentscheidung über den Spielausgang getroffen, gilt es doch, sich ein möglichst großes, mit allen Zünften ausgestattetes Gebiet zu sichern. Dazu dient sowohl die Besetzung der seltener vorkommenden Zünfte im Grundgebiet, wie auch die Bildung eines geeigneten Hinterlandes durch Legen der Spielplanteile. Schnell zeigt sich nämlich, dass es keinen Sinn macht in einem gegnerischen Gebiet zu investieren, braucht man doch mindestens vier Runden bis zum ersten Turm. In dieser Zeit ist der Konkurrent turmhoch voraus. Genauso unsinnig ist es, einen Konkurrenten, der vorher an der Reihe ist, dadurch herauszufordern, dass man in die gleichen Zünfte wie er legt. Er wird dann seinen Turm so platzieren, dass ein angreifender Spielstein vom Plan entfernt werden muss, wodurch dann auch in der nächsten Runde nicht die vier Felder für einen Turm zusammenkommen. Der Herausgeforderte kann bei geschicktem Vorgehen hingegen fröhlich weiter bauen, er hat ja noch drei Spielsteine übrig behalten. Wichtig ist also ein großes Gebiet zu beherrschen und beim Bauen darauf zu achten, dass man seine Türme nicht so platziert, dass sie durch Abtrennung einiger Zunftfelder oder durch Wegnahme der einzigen Zunft einer Art in der Nähe das weitere Fortkommen behindern.

Konsequenz des oben Gesagten ist, dass bei SAN GIMIGNANO von Interaktion keine Rede sein kann, jeder spielt und baut im Grunde genommen für sich. Einzig und alleine, wenn sich zwei Konkurrenten zusammentun, um z.B. eine wichtige Zunft gemeinsam zu belegen, (aber warum sollte ich das tun, ich kann doch in meinem Gebiet noch bauen) wird es etwas interessanter. Beim Spiel zu dritt wird man sich dabei auf die Führenden (oft den Startspieler s.o.) einschießen, der dann frustriert das Ende der Partie erlebt. Ich kann daher nur eine Partie zu viert empfehlen, aber auch dort kann es passieren, dass ein Mitspieler einen Turm nach dem anderen platziert während man selbst nicht so recht weiterkommt. In einer nächsten Partie kann es genau umgekehrt sein.

SAN GIMIGNANO ist mit einer Spieldauer von um die 30 Minuten hervorragend geeignet, zu Beginn oder Abschluss des Spielabends auf den Tisch zu kommen, zu mehr aber nicht, auch wegen des angesprochenen Geruchs. Obwohl es in einer Viererpartie Ansätze von taktischen Finessen offenbart, konnte es mich nicht davon überzeugen, dass sein Platz auf die Auswahlliste zum Spiel des Jahres gerechtfertigt ist. Dies auch deswegen, weil mit einem Preis von um die 30 Euro für mich kein günstiges Preis-Leistungsverhältnis gegeben ist. Da aber Geschmäcker verschieden sind, sollte man bei Gelegenheit SAN GIMIGANANO dennoch eine Chance geben. (mw)

Steckbrief
San Gimignano
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Duilio Carpitella Piatnik 2 - 4 Spieler ab 8 Jahre ca. 30 Minuten Franz Vohwinkel