Sterben negative Kritiken aus?

Gedanken aus Anlass des Tags der Brettspielkritik*

Es gibt viele Spiele. Jedes Jahr werden weit mehr als 1000 veröffentlicht. Wir wissen nicht, wer sie kauft, letztendlich aber muss es Käufer geben. Und vorher Verleger, die glauben, dass das Spiel ein Geschäft wird. Davor steht die Wahrnehmung. Nur ein Spiel, das wahrgenommen wird, kann gekauft werden. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten Rezensenten. Schreiben, sprechen, filmen sie über ein Spiel wird es gelesen, gehört oder gesehen. Der Konsument weiß jetzt: Es gibt dieses Spiel.
Bei so vielen Produkten sind, fast selbstverständlich, etliche dabei, die es nicht verdient haben, gekauft zu werden. Ob der Rezensent Mängel entdeckt, in der Spielanleitung, im Ablauf, im Material oder sonst wo oder einfach für sich ein Spiel nicht mag, die Folge ist eine negative Kritik.

Wer aber möchte eine negative Kritik?

  • Der Rezensent?
    Er schreibt sie, muss sie schreiben. Vielleicht ist er gerade wütend und hat sogar Spaß daran. Das ist bei uns nicht der Fall. Eine Kritik muss wohlbegründet sein, erst recht negative. Das erfordert einige Spiele. Mehrfach ein schlechtes Spiel zu spielen macht (uns) keinen Spaß. Dazu kommt noch die horrende Aufgabe, Mitspieler für "das eine weitere Spiel" zu begeistern.
  • Der Verlag?
    Wohl kaum. Niemand möchte lesen, wie schlecht sein Produkt ist. Damit haben wir auch gleich die Autoren abgehandelt. Gut begründet wird eine solche Rezension akzeptiert, mag im Einzelfall sogar weiterhelfen. Die massive Kritik an der Erstauflage von Carpe Diem ist so ein Beispiel. Sie führte zu einer klar verbesserten zweiten Auflage.
    Ansonsten wird sie hingenommen, möglichst totgeschwiegen. In den sozialen Medien werden nur positive Kritiken geteilt. Verständlich. Ich habe nicht erlebt, dass eine negative Kritik vom Herausgeber verbreitet worden wäre.
  • Die Leser?
    Wenn die Rezension gut geschrieben ist, mag sie unterhalten. Falls es für das Spiel einen Hype gab, mag sie warnen. Ansonsten ist sie wertlos. Bei über 1000 Spielen pro Jahr ist eine negative Rezension so etwas wie ein Das-Spiel-kenne-ich-nicht. In beiden Fällen wird es nicht gekauft.
    Für den Leser sind positive Kritiken sinnvoll. Diese motivieren ihn - vorausgesetzt das Spiel interessiert ihn zum Beispiel aufgrund von Genre, Mechanismus oder anderen Gegebenheiten - sich näher mit dem Spiel zu beschäftigen, späterer Kauf möglich.
  • Das Magazin?
    Magazin ist allgemein. Das kann eine Webseite, eine Zeitung oder ein Video-Anbieter auf Youtube sein. Haben sie etwas von negativen Kritiken? Auf keinen Fall mehr Klicks. Wie unter Verlag geschrieben, findet eine solche Rezension keine große Verbreitung. Die Grundlage für viele Klicks entfällt.
    Vielleicht führen negative Rezension zu Anerkennung und Reputation, weil sie eine distanzierte Haltung zu den Produkten zeigt. Ein anderer Grund ist banal. Vielen Medien werden Rezensionsmuster gestellt. Mit der Rezension wird die moralische Verpflichtung, etwas zu liefern, erfüllt.

Negative Kritiken sorgen für Vielfalt in der Kritiklandschaft. Ohne solche Beiträge gibt es nur Lobeshymnen. Die Abwesenheit einer Kritik würde zur negativen Kritik mutieren, weil Gutes ja kommuniziert würde Das halten wir für gefährlich - erst recht bei über 1000 Neuerscheinungen pro Jahr. Deshalb müssen Sachverhalte, die nicht stimmen, auf den Punkt gebracht werden; deshalb brauchen wir negative Kritiken!
Und deshalb zum Abschluss die Wiederholung der Eingangsfrage: Sterben negative Kritiken aus? (redaktion)

* Der Tag der Brettspielkritik ist eine Veranstaltung des Vereins "Spiel des Jahres". Sie findet vom 21. bis 23. Juni 2019 in Hamburg statt.