EgiziaEgizia

Ich war noch niemals in Ägypten. Ich gebe es zu. Gründe gibt es viele, dies zu ändern. Ein nicht ganz unerheblicher wäre sicherlich die Kultur des Alten Ägypten (ital.: Egizia) mit seinen sagenhaften Bauwerken - die Pyramiden, Tempel, die Sphinx von Gizeh und die faszinierenden Nekropolen im "Tal der Könige" unter vielem anderen. Die Macher des neuen Spiels Egizia waren wahrscheinlich auch noch nicht in Ägypten oder können sich nur noch lückenhaft an ihren letzten Aufenthalt erinnern. Wieso? Warten Sie, ich komme gleich dazu…

Spielplan Egizia ist ein Setz- und Bauspiel, das den Mitspielern über fünf Runden die Aufgabe stellt, Bautrupps zu unterhalten und Baumaterialien zu beschaffen, um sich am Bau der typischen altägyptischen Monumente (Pyramide, Tempel, Gräber, Obelisk, Sphinx) beteiligen zu können. Das alles spielt sich am Nil, der Lebensader des Landes, ab. Seinem Verlauf folgen die Spieler, indem sie reihum Schiffe an das Ufer setzen, um vorteilhafte Nil-Karten oder Sonderaktionen zu erhalten bzw. an die drei knapp bemessenen Bauplätze zu gelangen. Während die Nil-Karten Getreidefelder mit unterschiedlicher Fruchtbarkeit, Steinbrüche und Sonderkarten mit einer Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten bieten, dienen die festen runden Aktionsfelder vor allem dem Fortschritt bei den Bautrupps und auf den Märkten.
Interessant ist der Einsetzmechanismus: Die Spieler können den Nil nur flussabwärts befahren, d. h., sie müssen sich genau überlegen, wo sie wann setzen, um sich möglichst viele lukrative Plätze zu sichern. Wer vor den anderen einen bestimmten Ort erreichen will, muss ggf. auf die kaum weniger verlockenden Angebote zwischen neuem und altem Standort verzichten. Bei alledem sind auch die Bauleute bei Laune zu erhalten. Einmal in jeder Runde wollen sie ernährt werden. Hier heißt es aufpassen, denn die Nilflut beschert fruchtbare und weniger fruchtbare Jahre, die darüber entscheiden, wie viel Getreide man den Bautrupps zur Verfügung stellen kann. Hungrige Bauarbeiter sorgen für ein sattes Minus auf der Punkteleiste. Siegpunkte erhält man für seine Bautätigkeit und am Spielende für das Einlösen der sog. Sphinxkarten, wenn man die auf ihnen angegebenen Bedingungen während des Spiels erfüllen konnte.

Rundenzähler sind die Nil-Karten, die zu Beginn jeder Runde auf die vorgesehenen Felder am Nil ausgelegt werden. Nachdem die Spieler ihre Schiffe gesetzt, Nilkarten genommen und die Aktionen der runden Felder ausgeführt haben, müssen sie jeweils drei Standardtrupps und einen Joker-Bautrupp mit ihrem Getreidevorrat ernähren. Steinbrüche sorgen im Anschluss für eine Erhöhung der Steinressourcen. Die Stärke der Bautrupps bestimmt, wie viele Steine gemäß bestimmter Bauregeln eingesetzt werden können. Die Stärke des Jokers kann dabei einmal pro Runde einer Kolonne hinzugezählt werden. Anschließend reduzieren die Spieler ihren Steinvorrat auf ihrem Tableau um die beim Bau verwendeten Steine.

Sphinx-Karte Den Anfang macht das Baufeld der Sphinx. Hier können die am Platz vertretenen Spieler Steine für maximal fünf Sphinx-Karten eintauschen. Eine Karte dürfen sie behalten, der Rest wird unter den Stapel zurückgelegt, und für jede zurückgelegte Karte bekommt man einen Siegpunkt. Am zweiten Bauplatz erhält man die Möglichkeit, am Obelisken oder am Gräberfeld mit unterschiedlich wertvollen Grabplättchen mitzubauen. Als Bonus winkt hier ein Verbesserung der Position an einem der beiden Märkten, mit deren Hilfe man die Bedingungen für den Steineverkauf (am Ende des Spiels) oder für Sieg- bzw. Maluspunkte optimiert. Das letzte Baufeld erlaubt die Beteiligung am Bau von Pyramide und Tempel. Am Ende der Runde erhalten die Spiele Bonuspunkte, je nach ihrer Beteiligung an den Bauwerken. Schließlich wird die Spielerreihenfolge neu bestimmt. Startspieler der nächsten Runde wird derjenige, der auf der Siegpunktleiste hinten liegt. Ihm folgt der zweitletzte Spieler usf.
Nach der fünften Runde folgt die Schlusswertung. Beginnend mit dem letzten Spieler erhalten die Spieler weitere Boni für Sphinxkarten und für bestimmte Summen der Werte auf den Gräberplättchen. Wer mindestens das vorletzte Feld des Steinverkaufs erreicht hat, kann nun noch je zwei Steine für 1 Siegpunkt eintauschen. Der Spieler mit den meisten Siegpunkten gewinnt, bei Gleichstand darf sich der Sieger nennen, der das Punktefeld als Erster erreicht hat.

Startkarte: Steine Egizia ist ein dynamisches Spiel, das Voraussicht gleichermaßen wie Flexibilität einfordert. Durch frühes Ziehen von Sphinxkarten können zwar Strategien entworfen werden, doch erfordert der Konkurrenzkampf um die besten Plätze am Nil häufig, Entscheidungen zu revidieren und neue Wege zu gehen. Das Zusammenspiel der Nil-Karten, die den Mitspielern u. a. erlauben, den Spielgang zu beeinflussen (sie können z. B. die Bewässerung der Felder durch den Nil manipulieren), mit den Aktions- und Baufeldern erhöht vor allem im Dreier- und Vierer-Spiel das Spannungsmoment. Da man am liebsten alles auf einmal haben möchte, die Mitspieler aber genau dasselbe wollen, gilt es, aus der jeweiligen Situation das Beste zu machen. Hier verleiht der schöne Einsetzmechanismus der Schiffe dem Spiel eine ganz individuelle Note. Außer im zahmen Zweierspiel steht bei den Baufeldern immer ein Platz weniger als die Spielerzahl zur Verfügung - das erhöht den Druck, dabeizusein oder für eine gleichwertige Alternative zu sorgen. Interaktion beschert auch die Wirkung einiger Nil-Karten, die es Einzelnen unter Beachtung der sich verändernden Zugreihenfolge u. a. erlauben können, auch einmal noch ein Schiff oberhalb des zuletzt eingespielten zu setzen oder so z. B. die Ernährungssituation für die Mitspieler dramatisch zu verschlechtern. Eine Runde vergeht bei erfahrenen Baumeistern im Fluge, da die Optionen zwar reichhaltig sind, doch sich manchmal zwangsläufig aus den Aktionen der Mitspieler ergeben. Im Zweipersonenspiel wird die Konkurrenz an den Bauplätzen aufgehoben, es steht für jeden Spieler ein Feld zur Verfügung. Die Herausforderung ist hier eine andere, da es hier eher darum geht, im Wettlauf die besten Nil-Karten zu erhalten, weshalb man u. U. freiwillig auf einen Bauplatz verzichtet.

Vorteilskarte Einen nicht unwesentlichen Faktor stellen die Sphinxkarten dar. Sie nicht sammeln und ihre Bedingungen nicht erfüllen zu wollen, verbietet sich von selbst. Oft ist es allerdings in unseren Testspielen vorgekommen, dass Spieler mit einer idealen Kombination dieser Karten in der Schlusswertung das Feld von hinten aufrollten. Da in der ersten Runde zumeist eine Nil-Karte ausliegt, die es dem Spieler permanent erlaubt, an der Sphinx umsonst zwei Karten mehr zu ziehen, erhält der Glückliche dadurch einen nicht unerheblichen Vorteil (bessere Auswahl und zwei sichere Siegpunkte pro Runde ab dem zweiten Durchgang, falls er jeweils einen Platz an der Sphinx erobern kann), der sich vor allem in Vollbesetzung mehr als einmal deutlich belegen ließ. Zwar haben die Autoren dies nach (!) Veröffentlichung von Egizia erkannt und eine Regelergänzung veröffentlicht, doch ist der allzu starke Vorteil in den Augen meines Spielerkreises kaum abgemildert worden.
Egizia ist auf den ersten Blick schön ausgestattet und ein weiteres Beispiel für die bewährte Qualität der Spiele von Hans im Glück. Doch der zweite Blick macht bereits stutzen - der schöne Spielplan enthält mehr als einen Fehler. Man muss nicht ein Ägyptologe sein, um zu wissen, dass es wohl kaum Pyramiden, Gräber und Tempel direkt an den Ufern des Roten Meers oder gar auf dem Sinai gibt, wohl eher westlich des Nils. Sicherlich ist dies Folge praktischer Erwägungen (z. B. Übersichtlichkeit des Plans), aber wenn man nun schon eine offenbar beliebige thematische Einkleidung eines Spiels wählt, sollten doch auch wichtige historische Details nicht einfach auf solch kuriose und willkürliche Weise übergangen werden. Mir ist übrigens auch neu, dass Obelisken aus einzelnen Steinen bestehen, nicht aus einem Monolithen gehauen sind. Und da ich schon dabei bin, Haare zu spalten, ist es sicherlich nicht vermessen zu sagen, dass eine Kurzform des Rundenablaufs auf dem Spielplan oder als separate Übersicht eine willkommene Ergänzung gewesen wäre, die einem das leidige Nachschlagen in dem Regelheft erspart hätte. Es ist nämlich auch nach mehreren Partien nicht so, dass sich die einzelnen Spielschritte völlig eingeprägt haben.

Bautrupps Mit Egizia veröffentlicht das seit 2001 operierende italienische Autorenteam Acchittocca (eine Frau, drei Männer) sein viertes Spiel. Es folgt auf Comuni, das 2008 bei Tenki Games erschienen ist. Auch bei diesem Spiel wurden nachträglich nicht unerhebliche Regelpräzisierungen via Internet nachgereicht, war der Spielplan nicht ohne Mängel, fehlten Spielerübersichten. Das sollte bei Acchittocca nicht zur Regel werden, bei Hans im Glück schon gar nicht. Doch anders als bei dem in meinen Augen durchwachsenen Vorgänger muss ich paradoxerweise feststellen, dass Egizia trotz dieser Mängel eine Menge Spielspaß bereitet. Die Vorzüge des spannenden Mechanismus, der aus einem Guss ist, überwiegen die negativen Punkte eindeutig. Was soll's, dass die Macher wohl nicht in Ägypten gewesen sind. Wer darüber hinwegsehen kann und die ohne Zweifel vorhandene Unausgewogenheit der Karten als Herausforderung interpretiert, ist gerne willkommen, mit mir eine Partie Egizia zu spielen. Und vielleicht reise ich irgendwann auch einmal nach Ägypten, um den so berühmten wie einzigartigen Obelisken auf dem Sinai zu bewundern. (thb)

Steckbrief
Egizia
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Acchittocca Hans im Glück 2 - 4 Spieler ab 12 Jahre ca. 90 Minuten Franz Vohwinkel