Hochverrat!Hochverrat!

Als ich in der Neuheitenschau in Essen das Spiel ´Hochverrat!´ mit seinem auffallenden Logo für 2 Spieler gesehen habe, habe ich gedacht, mal wieder ein Zweipersonenspiel bei dem durch einfaches Legen von Karten Mehrheiten irgendeiner Art erzielt werden müssen, um schließlich zu gewinnen. Als ich mir das Ausstellungsobjekt dann näher angeschaut habe, bin ich immer neugieriger geworden. Da sollte ein historischer Gerichtsprozess aus dem Jahr 1885 nachgespielt werden. In diesem wird der vermeintliche Hochverrat des Louis Riel, eines Métis (das sind Nachfahren französisch-katholischer Händler und Siedler und Frauen indianischer Abstammung) gegen die britisch-protestantische Regierung behandelt. Ein Gerichtsprozess nach amerikanischem, genauer kanadischem Vorbild mit Auswahl von Geschworenen, Hauptverhandlung, Schlussplädoyer, Beratung und Urteil. Und das soll klappen? Ja, und wie.

Um den Ablauf des Spiels verständlich zu machen, will ich hinten anfangen, bei der Urteilsverkündung. Insgesamt gibt es neun Aspekte, die die Verhandlung beeinflussen und den Geschworenen zugeordnet werden, Religion (katholisch, protestantisch), Sprache (französisch, englisch) und Beruf (Beamter, Kaufmann, Landwirt). Ein Geschworener kann also z.B. ein katholischer, französisch sprechender Beamter sein. Jedem der Aspekte ist ein Zahlenwert zwischen eins und zehn zugeordnet, der sich von der vorgegebenen Startbedingung im Laufe des Prozesses nach oben oder unten verschieben kann. So wird für jeden der sechs Geschworenen (der einzige Prozess in Kanada mit sechs Geschworenen) ein Zahlenwert ermittelt, der verdoppelt wird, wenn der Geschworene von der Anklage überzeugt ist bzw. halbiert im gegenteiligen Fall. Ergibt sich dann ein Summenwert für die sechs Geschworenen von 100 oder mehr, gewinnt die Anklage, sonst die Verteidigung. Im Mittel muss also jeder Geschworene 17 Aspekt-Punkte für die Anklage bringen. Das alleine ist schon schwierig genug, so dass der Spieler der Verteidigung es etwas leichter hat zu gewinnen. Denn neben guten Argumenten bei den Aspekten muss die Anklage mindestens zwei Beweise für die Schuld vorlegen. Salopp könnte man sagen: Die Anklage muss unbedingt Tore schießen während die Verteidigung nur den Ball wegdreschen muss.

Wie kommt man nun dahin? Dazu vorab ein Blick auf die im Spiel befindlichen Karten. Sie sind in drei Bereiche unterteilt für die Wahl der Geschworenen, die Hauptverhandlung und das Schlussplädoyer. Daneben noch die allgemein nutzbaren Aktionspunkte. Zunächst die Wahl der Geschworenen. Dazu werden zwölf Geschworenenkarten ausgelegt und mit Plättchen zu den Aspekten belegt. Jeder Spieler erhält sieben Karten, von denen zunächst die Anklage fünf ausspielt, dann die Verteidigung. Zwei der Karten werden für das Schlussplädoyer zurückgelegt. Das sollten natürlich starke Karten sein, um zum Schluss das Fähnchen in den richtigen Wind zu drehen. Mit den gespielten Karten werden dann Aspekt-Plättchen aufgedeckt; sie sind für beide sichtbar, oder sie werden verdeckt angeschaut. Anschließend werden abwechselnd sechs Geschworene entlassen. Das ist eine wichtige strategische Entscheidung für den Fortgang des Prozesses. Die Ereignisse der Anklage beeinflussen eher englischsprachige, protestantische Beamte und Kaufleute. Die der Verteidigung überzeugen französisch sprechende katholische Landwirte. Wenn die Anklage solche Aspekte von Geschworenen kennt, sollten diese entlassen werden.

Nach der Wahl schließt sich die Hauptverhandlung an. Wieder erhält man sieben Karten, von denen zwei für das Schlussplädoyer weggelegt werden. Nun nutzt man die Ereignisse für die Hauptverhandlung oder die Aktionspunkte der Karte. Damit kann man für einen Aktionspunkt einen Aspekt argumentieren, sprich den Marker um ein Feld bewegen. Die Veränderung eines Aspekt-Wertes betrifft den Schuldig-Wert eines jeden Geschworenen, der diesen Aspekt hat. Daher lohnt es ich, wenige Aspekte mehr zu beeinflussen als andere. Oder man nutzt Aktionspunkte, um Geschworene zu überzeugen, bis sie vollständig auf die eigene Seite gezogen sind. Hat man einen gewieften Anwalt auf der Hand, kann man unliebsame Aktionen der Gegenseite abwehren (´Einspruch Euer Ehren´) oder Geschworene besonders eindringlich einschüchtern. Manchmal ist es sogar möglich, bei der Gegenseite zu spionieren und eine der Plädoyerkarten offen zu legen oder eine der eigenen offenen auszutauschen. Möglichkeiten über Möglichkeiten. Der Hauptverhandlung Teil 1 schließt sich ein genauso ablaufender Teil 2 an.

Nach der Hauptverhandlung kommt es zum Schlussplädoyer. Man benutzt dazu die sechs zur Seite gelegten Karten. Zunächst spielt die Anklage drei davon, dann die Verteidigung alle, und schließlich die Anklage die letzten drei. Die Anklage hat sozusagen das letzte Wort und kann noch vielleicht entscheidend agieren, ohne dass die Verteidigung noch einmal eingreifen kann. Gerissene Anwälte sind auch hier von Nutzen, denn sie können nun auch einen Geschworenen komplett umdrehen, was z. B. die Multiplikation des Schuldig-Wertes verhindert. Schließlich ziehen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Komplett überzeugte Geschworene ´beraten´ ihre mindestens in einem Aspekt übereinstimmenden Kollegen (Beamte halten halt zusammen) und verschieben den Aspekt entsprechend.

Dann kommt es zum Urteilsspruch, wenn die Anklage mindestens zwei Beweise vorlegen konnte. Ansonsten gibt es einen Freispruch. Hat die Verteidigung ihre Unzurechnungsfähigkeit ausreichend dokumentiert, darf sie z. B. auf der vorletzten Stufe drei Aspekte um zwei Felder verschieben. Das kann bedeuten, dass der Anklage 20-30 oder mehr Punkte verlorengehen. Auf die Unzurechnungsfähigkeit sollte die Anklage also auch ein Auge haben. Nun wird über alle Geschworene summiert, wie zu Anfang beschrieben, und das Urteil steht fest.

Hochverrat! hat mir sehr viel Spaß gemacht. Es ist nicht leicht zu spielen, aber das macht für mich den besonderen Reiz aus. Die Schranke mit 100 Punkten liegt hoch und Anklagespieler, die (bei Hochverrat!) Anfänger sind, werden meist verlieren, bis sie an Erfahrung gewinnen und das ´Gefecht´ erkennen, welches im Gerichtssaal an vier Fronten ausgefochten wird. Die Geschworenen, die Aspekte, die Beweise für die Schuld und die Beweise für die Unzurechnungsfähigkeit. Die Anklage braucht einen Plan, wie sie an drei dieser Fronten gut kämpft und die vierte nicht vermasselt. Um der Anklage zu helfen, ist der Kartenstapel etwas zu ihren Gunsten gewichtet, trotzdem braucht sie einen guten Plan und eine homogene Gruppe von gewogenen Geschworenen um den Sieg davon zu tragen. Man wird Hochverrat! mehrmals spielen müssen, um alle Ebenen und Tricks für eine gut Anklage zu lernen. Aber sie existieren und ihre Entdeckung wird eine Belohnung in sich sein. Kartenglück ist nur ein kleiner Faktor, denn mit jeder Karte lässt sich etwas anfangen.

Der Ablauf des Gerichtsprozesses ist in Hochverrat! toll umgesetzt. Wie in der Realität hat man viele Möglichkeiten zu agieren und ´argumentieren´, man muss nur geschickt und gerissen sein. Aber anders als in der Realität ist die Dauer einer Verhandlung mit knapp einer Stunde angenehm kurz. In der Zeit spielt man ein anspruchsvolles, fesselndes Spiel, das in jeder Partie andere Wendungen nimmt. Es hebt sich von anderen Zweipersonenspielen wohltuend ab. Mich hat es jedenfalls total fasziniert und ich freue mich schon jetzt auf die geplanten Fortsetzungen. (mw)

Steckbrief
Hochverrat!
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Alex Berry Frosted Games 2 Spieler ab 12 Jahre ca. 45 Minuten Tim Allen