Robinson Crusoe – Abenteuer auf der verfluchten InselRobinson Crusoe – Abenteuer auf der verfluchten Insel

Szenario 1: SchiffbrüchigKurz nachdem Robinson Crusoe 2012 zum ersten Mal beim polnischen Verlag Portal Games erschienen war, hatte ich Gelegenheit, bei einem Freund dieses kooperative Spiel auszuprobieren. Es blieb lange Zeit bei diesem ersten Versuch, denn die damalige Regel - ob nun in Deutsch, Englisch oder Polnisch - war so katastrophal geschrieben, dass selbst die parallele Lektüre der ausufernden Regelklärungen auf Boardgamegeek kaum zu einem genussvollen Spielen führte, zumal man sich selten dieser Mühe unterziehen wollte. Doch es gab einige wenige, die das dennoch taten. Die Buschtrommeln riefen den umtriebigen Pegasus-Verlag auf den Plan, der in Essen 2013 dann mit einer deutschen Neuauflage aufwartete. Ohne Umschweife lässt sich bereits an dieser Stelle sagen: Die Leute aus Friedberg haben durch viel redaktionelles Geschick aus dem Aschenbrödel eine veritable Prinzessin gemacht. Ihnen gebührt das Verdienst, das Spiel überhaupt erst spielbar gemacht zu haben. Das umfangreiche und vorbildlich gestaltete Regelheft mit fast 40 Seiten bietet eigentlich auf jede Frage eine Antwort und legt das Spielsystem mit Ausnahme kleinerer widersprüchlicher Angaben nahezu wasserdicht dar. Nun kann also bewertet werden, ob das Spiel an sich gut ist und ob es trotz der immer noch komplexen Regularien das versprochene gemeinschaftliche Abenteuer beschert.

Drei Landschaften der InselDer Titel verrät es: In Robinson Crusoe schlüpfen wir Spieler in die Haut von Schiffbrüchigen, die es auf eine Insel fernab der zivilisierten Welt verschlägt. Diese Grundsituation buchstabieren die sechs zur Wahl stehenden Szenarien in verschiedener Weise aus, unterschiedlich sind daher auch die Spielziele. Während sich das erste Szenario noch klassisch um die Hoffnung auf Rettung durch ein vorübersegelndes Schiff dreht, verlangen die übrigen die Zerstörung von Kannibalendörfern, die Schatzsuche auf einer Vulkaninsel oder die Bergung eines Crewmitglieds, das sich nach dem Schiffbruch auf einen Felsen vor der Insel retten konnte. In zwei weiteren Szenarien wird die Evakuierung von der Insel gar nicht mehr in Betracht gezogen: Während in "Die verfluchte Insel" die Mission darin besteht, vor dem Dahinscheiden den Fluch über das Eiland durch einen Exorzismus zu bannen, richten wir uns im letzten Szenario gleich auf der Insel ein und gründen eine Familie, für deren Überleben unter verschärften Bedingungen nun zu sorgen ist. Solch unterschiedliche Ziele erfordern unterschiedliche Startvorbereitungen und zusätzliche Spielregeln, die auf die jeweilige Situation abgestimmt sind. Zwischen 8 bis 12 Runden können die einzelnen Szenarien dauern, wobei stets die Gefahren und die lebensbedrohlichen Auswirkungen eines im Laufe der Zeit immer raueren Klimas ihren Tribut fordern. Gleich bleiben jeweils die Voraussetzungen der vier Charaktere Koch, Soldat, Forscher und Zimmermann, die über spezifische Eigenschaften verfügen und die jeweils unterschiedlich belastbar sind. Im Solospiel oder zu zweit stehen Freitag und/oder ein Hund an unserer Seite.

Zwei Ereignisse, die es zu meistern giltAuf dem Weg zum Ziel müssen wir in jeder Runde mit Unbill durch Ereignisse fertig werden und an unserer Gruppenmoral arbeiten, wobei wir eventuell an Entschlossenheit gewinnen können, um die bevorstehenden Aufgaben besser bewältigen zu können. Vor einer Aktionsrunde stimmen wir uns ab und planen gemeinsam unsere Aktionen, die wir in abgesicherter Weise oder mit Risiko, d. h. mit Würfeleinsatz durchführen. Jeder Spieler besitzt zwei Aktionsscheiben, die er für eine sichere Aktion en bloc einsetzen bzw. mit Scheiben eines Mitspielers kombinieren kann oder einzeln auf dem Spielbrett platzieren kann.Der Wurf von drei Würfeln entscheidet im letzten Fall darüber, ob die Aktion erfolgreich ist und ob ggf. unangenehme Nebenwirkungen mittels Abenteuerkarten auftreten.

Zwei Gegenstände: Seil und Bett>Um uns ernähren und einen schützenden Unterschlupf errichten zu können, müssen wir die Insel erkunden und tiefer in das Unbekannte vordringen. Auf neuen Inselteilen finden wir Rohstoffe, Schätze oder Nahrung, treffen u. U. aber auch auf hungrige Kannibalen. Zugleich gehen wir auf die Jagd, damit der Koch wieder Fleisch zubereiten kann und wir ggf. mit Fellen an unserem Unterschlupf weiterbauen können. Noch helfen uns Strandgut und aus dem untergegangenen Schiff gerettete Gegenstände bei den ersten Schritten auf der Insel. Technisches Know-How in Form von Erfindungskarten wartet darauf, umgesetzt zu werden. Dazu müssen bestimmte Geländearten erforscht und/oder weitere Voraussetzungen erfüllt werden. Die ‚gebauten' Gegenstände benötigen wir, um unser Ziel zu erreichen, oder einfach nur, um eine weitere Runde überleben zu können, denn es folgen Wetter- und Nachtphase. Während in der letzteren ohne Unterschlupf oder ausreichende Nahrung die Gefährten an Lebenskraft verlieren, brauchen wir vor allem in den späteren Runden wegen der zunehmend kalten Witterung ein Dach über den Kopf und Holz zum Heizen. Gelingt es uns, die Mission zu erfüllen, ohne dass einer von uns sein Leben lassen muss, haben wir das Spiel gewonnen.

Charakterkarte des Kochs

Robinson Crusoe ist ein kooperatives Spiel am oberen Ende der Anspruchsskala. Die Basisregeln sind auch für erfahrene Spieler recht kompliziert, sie erhalten jedoch durch den einfachen Grundmechanismus des Einsetzens von Aktionsscheiben und durch die klare Rundenstruktur, die auf dem Spielbrett abgebildet wird, ein hilfreiches Gerüst. Die einzelnen Szenarien, die 73 Ereigniskarten, von denen für ein Spiel nur jeweils 12 blind ausgewählt werden, die Würfel sowie die Vielzahl an Gegenständen, Tier- und Geheimniskarten sorgen dafür, dass keine Partie der anderen gleicht. Erkauft ist dieser Vorteil um eine Regelflut, die je nach Blickwinkel auch als Überfrachtung interpretiert werden kann. Die überwältigende Vielfalt von Kombinationen bedeutet auch, dass neben Würfelpech das Schicksal in Gestalt von Ereignissen der Gruppe trotz akribischer Planung einen fetten Strich durch die Rechnung machen kann. Dennoch bedürfen die Anforderungen der einzelnen Szenarien der strategischen Analyse: So ist z. B. im ersten Szenario der Nachschub an Holz für das Signalfeuer von entscheidender Bedeutung, im Vulkan-Szenario muss man sich sputen und eine bestimmte Anzahl von Totemsymbolen auf den Inselfeldern entdecken, bevor die Lava diese bedeckt. In all diesen Fällen muss man sich genau abstimmen und darf neben der Mission das eigene Überleben und die anderen drohenden Gefahren nicht aus den Augen verlieren.

Geheimnisse und Unterstützung im Solitärspiel: FreitagRobinson Crusoe ist ein Spiel, das von seinen Spielern Hingabe erwartet. Wegen der Regelfülle und der im Regelheft zwar erklärten, aber immer wieder nachzuschlagenden Sonderfälle wird derjenige mit dem Spiel nicht glücklich, der es ein- bis zweimal im Jahr auf den Tisch bringen möchte. Es wird schon eine niedrige zweistellige Zahl an Partien benötigt, damit man garantierten Genuss aus dem Spiel zieht und sein Können an den Herausforderungen der liebevoll konziperten Szenarien ohne Anlaufprobleme beweisen kann. Ein Vergleich mit dem beliebten Kooperationsspiel Die Legenden von Andor, Kennerspiel des Jahres 2013, kann den Charakter von Robinson Crusoe verdeutlichen. Andor weist eine weitaus geringere Einstiegshürde auf und ist daher auch für spielerfahrene Familien geeignet. Beide Spiele sind in Aufbau und Verlauf variabel, doch ist diese Variabilität in Robinson Crusoe bis auf das Äußerste verwirklicht. Während in "Andor" eine fortlaufende Geschichte erzählt wird, bieten die Szenarien in Robinson Crusoe jeweils neue Abenteuer mit deutlich unterschiedlichen, aber stets schwierigen Herausforderungen. Dabei erhalten in Robinson Crusoe selbst kleine regeltechnische Details und Sonderfälle thematische Plausibilität. Das Spielsystem von Andor ist dahingegen eher beherrschbar, die Lernkurve und der Lernerfolg nach wenigen Partien recht hoch. In Robinson Crusoe lernen wir zwar auch unsere Lektionen und begreifen mit fortschreitender Erfahrung die spezifischen Anforderungen der Szenarien, dennoch bleibt der Zufall die große Unbekannte, die auch den Survival-Profis kurz vor dem Ziel in die Suppe spucken kann. Mehr als bei Andor ist deswegen Frustrationstoleranz gefragt.

Begegnung mit einem Alligator und einer der StartgegenständeDer Autor Ignacy Trzewiczek hat sich nach eigenen Angaben auf die Fahnen geschrieben, Spiele zu entwickeln, die Geschichten erzählen. In Robinson Crusoe bieten die Szenarien zwar einen erzählerischen Rahmen, allerdings ist das Spiel durch die Missionsziele auch mechanisch geprägt. Doch die erstklassige grafische Gestaltung der Komponenten sowie der beeindruckende Ideenreichtum von Ereignis- und Geheimniskarten verleihen dem Spiel eine thematische Tiefe und Atmosphäre, die ihresgleichen suchen und ganz wesentlich den Wiederspielreiz ausmachen. In diese Atmosphäre eintauchen zu können, dazu bietet Robinson Crusoe reichlich Gelegenheit. Da kann man, nein, muss man über Rück- und Querschläge aus den Quellen des Zufalls hinwegsehen. Wer sich hierauf einlassen kann, erhält ein gelungenes kooperatives Spiel, das in puncto Atmosphäre ein absolutes Highlight, angesichts von Regelkomplexität und Einstiegshürde jedoch nicht jedermanns Sache ist. Meine Robinson-Spielegruppe jedenfalls hat das gemeinschaftliche Abenteuer gefallen und freut sich bereits sehr auf die angekündigte deutsche Version der Erweiterung Die Fahrt der Beagle. (thb)

Steckbrief
Robinson Crusoe – Abenteuer auf der verfluchten Insel
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Ignacy Trzewiczek Pegasus 1 - 4 Spieler ab 10 Jahre 60 - 120 Minuten Hans Georg Schneider