Im Wandel der ZeitenIm Wandel der Zeiten

Ihr habt also sehr viel Zeit mitgebracht? Nein, nicht um diese Rezension zu lesen, die wird ungefähr so lang wie sonst auch. Sondern wenn ihr später einmal das Spiel ausprobieren solltet. Und das solltet ihr tun. Einen halben Tag wie für das gute alte Civilization braucht man zwar nicht, aber vier Stunden können es durchaus werden. Schließlich soll ja auch ein Bogen von der Frühzeit bis in unsere, moderne Gegenwart geschlagen werden. Von der mühsamen Feldarbeit zur maschinellen Landwirtschaft, von Moses zu Winston Churchill, von der Chinesischen Mauer zu den Segnungen des Internets. Das geht halt nicht in zehn Minuten. Gut nur, dass die vier Stunden gefühlt nur eine sind, was natürlich schon etwas über die Qualität des Spiels aussagt.

Auslage Wenn ich einen Begriff mit Im Wandel der Zeiten assoziieren sollte, wäre das zweifelsohne 'Man hat zu wenig ...' Man hat zu wenig Aktionen, Arbeiter, Nahrung, Rohstoffe, Kampfstärke, Bevölkerungsmotivation, Kulturpunkte, Technologieentwicklung, dafür aber dummerweise zu viel Korruption. Ein Reiz des Spiels liegt nun gerade darin, in all diesen Bereichen in etwa die Balance zu halten. Dass das nicht überall klappen kann, ist wohl verständlich, aber der Spielmechanismus gibt so viele Möglichkeiten vor, dass es in der Regel keinem der Spieler gelingen kann übermächtig zu werden. Das ist für mich ein absolut notwendiges Kriterium für ein gutes, ein sehr gutes Spiel. Ich mag es einfach nicht, wenn irgendwann eine (Punkte)Schere aufgeht, und es keine Möglichkeit gibt, sie wieder zu schließen. Das ist hier definitiv nicht der Fall.

Natürlich muss man dazu zum gegebenen Zeitpunkt die Chance ergreifen, seine Rohstoffproduktion zu verbessern, denn ohne Rohstoffe geht nichts. Das geht aber nur, wenn man etwas für die Bereitstellung von benötigter Technologie getan hat. Dafür sollte man gegebenenfalls einen Augenblick bei der Nahrungsbeschaffung zurückstehen und zunächst in eines der hilfreichen Wunder investieren. Oder vielleicht doch diese links liegen lassen, mit Nahrung zunächst die Bevölkerung vergrößern, um dann mit der Masse der Arbeiter in die Rohstoffproduktion einzusteigen?

Landwirtschaft Im Grunde genommen gibt es vier Arten von Errungenschaften (Karten). Anführer für die Zivilisation, die einfach ausgelegt werden (aber nur einer kann aktiv sein), Wunder, wie die Chin. Mauer, für die man zum Bau Rohstoffe braucht, Regierungsformen und spezielle Errungenschaften, die mit Technologie erworben werden, und alle anderen, die nach Einsatz entsprechend vieler Technologie ausgelegt werden dürfen, aber erst mit Rohstoffen und Arbeitern bestückt werden müssen, um wirksam zu werden. Der jeweilige Bonus können Kulturpunkte sein, die jede Runde in Siegpunkte umgewandelt werden, oder die schon erwähnten Technologiepunkte, die jede Runde dazuaddiert werden, Kampfstärke, weitere Aktionen oder Arbeiter. Man braucht also verschiedene Markierleisten, um die relativen Kultur- und Technologiepunkte, aber auch die absoluten und die Kampfstärke zu markieren. Dies passiert alles auf dem großen Spielplan, auf dem auch die zu ziehenden Karten ausliegen. Nur von dort kommt der Nachschub. Daneben hat jeder Mitspieler sein eigenes Paneel zum Festhalten der individuellen Merkmale (Arbeiter, Rohstoffe, Aktionen).

Militär Neben den erwähnten Zivilkarten gibt es auch noch einen Stapel mit Militärkarten. Darin enthalten sind Aggressions-, aber auch Verteidigungskarten, sowie vor allem Ereignisse, über deren Ausspielen man also selbst entscheidet, die jedoch erst zeitverzögert ausgewertet werden. Sie sind also mit einem kleinen Risiko behaftet. Ob das Kriterium dann noch so zutrifft wie gewünscht oder sich vielleicht schon gegen einen selbst gewandt hat?

Man möge mir nachsehen, dass ich nicht auf alle Aspekte des Spiels genauer eingehen kann, das würde den Rahmen hier sprengen. Aber Im Wandel der Zeiten wäre kein Spiel von Vlaada Chvátil, wenn es nicht, wie sein zuletzt von mir rezensiertes Space Alert, in mehreren Stufen erarbeitbar wäre. So gibt es das Einsteiger-, das Fortgeschrittenen- und das Expertenspiel. Und wem das nicht ausreicht, kann auch noch zwischen verschiedenen Varianten wählen, indem entweder mehr Bevölkerung zur Verfügung steht, keine Aggression möglich ist, Ereignisse vorab als Bonuskarten verteilt werden und Einiges mehr. Jeder sollte also etwas für sich finden. Dass die Regel, sie ist im Übrigen klar strukturiert, aussagekräftig und mit vielen Tipps versehen, 32 Seiten umfasst, darf dann nicht mehr wundern.

Ebenso darf nicht verwundern, dass ein erfahrener Spieler gegenüber einem Neueinsteiger aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten und der Komplexität der Zusammenhänge ein paar Vorteile hat. Aber die Lernkurve ist steil und eine zweite Partie läuft dann schon besser. Mir haben am besten die Dreierpartien gefallen. Da gibt es genug Konkurrenzkampf, aber die Spieldauer ist doch gegenüber einer Viererpartie etwas kürzer.

Weltwunder: Taj Mahal Wie schon erwähnt, reizt es mich besonders, die Wunder, Führer und Errungenschaften so zu kombinieren, dass ein möglichst optimales Ergebnis dabei herauskommt. Schön dabei ist auch, dass es nicht den Weg zum Sieg gibt, sondern verschiedene Strategien greifen können. Die relativ lange Spieldauer, auf der Schachtel wird nur 120+ min angegeben, schreckt mich dabei nicht, da es eigentlich nie langweilig wird, selbst wenn man gerade nicht dran ist. Allerdings baut jeder an seiner Zivilisation, der Interaktionsfaktor könnte für manche etwas größer sein. Dennoch ist ständige Beobachtung der gegnerischen aufbauten angesagt, um nicht unliebsame Überraschungen zu erleben.

Im Wandel der Zeiten hat mir durchweg gut gefallen. Und ich bin offensichtlich nicht der Einzige. Wie sonst wäre zu erklären, dass ein Nischenprodukt eines kleinen tschechischen Verlags so schnell die Aufnahme bei einem großen deutschen Verlag gefunden hat. Und das ist gut so. (mw)

Steckbrief
Im Wandel der Zeiten
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Vlaada Chvátil Pegasus 2 - 4 Spieler ab 12 Jahre 120 - 150 Minuten Richard Cortes, Paul Niemeyer