BremerhavenBremerhaven

Bremerhaven gilt als einer der größten Containerhafen der Welt. Von 1990 bis 2008 hat sich der Umschlag der Waren im Container-Terminal von 9,7 Mio. Tonnen auf sage und schreibe 54,7 Mio Tonnen erhöht, d. h. mehr als verfünffacht (Quelle: Wikipedia). Also höchste Zeit, dieses Wachstumsphänomen als Spielthema aufzugreifen, wie es nun Lookout Spiele mit Bremerhaven getan haben. Schachtel und Komponenten spielen augenfällig auf "Le Havre" an. In puncto Größe schlägt Bremerhaven das französische Le Havre, schlägt aber auch das Spiel den beliebten Vorgänger aus dem gleichen Verlag?

persönlicher HafenabschnittIn Bremerhaven managen die Spieler ihren eigenen Hafenabschnitt, locken große Frachter und Passagierschiffe an ihre Docks, stellen Lagerflächen zur Verfügung und bestücken Verladeflächen, um lukrative Aufträge zu erfüllen. Ihre logistischen Aufgaben meistern sie durch blindes Bieten auf Aktionen mithilfe von Einflusskarten und geschicktes Rangieren der Waren. Ziel ist es, sowohl viel Geld einzunehmen als auch durch das Anlanden großer Schiffe und den Bau attraktiver Hafengebäude Prestige zu gewinnen. Das Produkt aus Geld und Prestige bestimmt den Gewinner einer Partie.
Zu Beginn des Spiels stehen den Spielern jeweils fünf Einflusskarten im Wert von 1-5 zur Verfügung. Reihum spielen sie verdeckt je eine Karte und bieten so auf einzelne Felder von drei separaten Plänen in der Tischmitte. Auf dem Stadt-Plan können sie Gebäudekarten erwerben, ihre Einflusskarten aufwerten, Marktpreise manipulieren , die Spielerreihenfolge verändern oder Genehmigungen für den Bau von Gebäuden, Kaipollern und Lageflächen erwerben. Auf den übrigen zwei Plänen (See- und Land-Plan) wetteifert man um Schiffe und Aufträge. Während bei dem größten Teil dieser Pläne der Meistbietende den Zuschlag erhält, können bei Baugenehmigungen und Aufwertung von Einflusskarten auch die Unterlegenen die Aktion durchführen, wenn sie die Differenz zum Höchstgebot zu zahlen bereit bzw. fähig sind.

AuslageNach der Bietphase folgen die Spieler der Nummerierung auf den Plänen, nehmen sich die erfolgreich ersteigerten Aktionen bzw. Karten und erhalten Einkommen. Neue Schiffe landen an den Docks auf dem eigenen Hafenplan, sofern dort mithilfe von Pollern ausreichend Platz für die Größe der Schiffe geschaffen wurde. Aufträge werden an einer der vier Verladeflächen angelegt, wenn sie denn nicht bereits besetzt sind. Mithilfe von Zeitmarkern wird angezeigt, wie lang sie dort verbleiben. In dieser Frist müssen die Waren von den Schiffen geholt werden und die Aufträge bedient werden.
Anschließend organisieren die Spieler simultan die Logistik auf ihren Hafenplänen. Dabei ist zu beachten, dass die "Waren" (neben Kisten, Containern und Fässern zählen auch Passagiere dazu) nur begrenzt Platz finden. Mindestens ein Feld muss frei sein, um die Plättchen klug verschieben zu können. Für ausgelegte Gebäude und Schiffe erhält man zudem Prestigepunkte, die man auf einer Skala nachhält. Da es bei den Schiffen natürlich zu Fluktuationen kommt, wird der Presigewert nur angepasst, wenn die Summe mehr Punkte als zuvor ergibt. Schließlich wird jeweils ein Zeitmarker von den Karten entfernt, sodass evtl. Schiffe wieder in See stechen oder Aufträge auslaufen. Für die bis dahin ausgelieferten Waren gibt es Geld nach Maßgabe des aktuellen Marktwerts, wobei nur zum Teil erfüllte Aufträge Strafzahlungen und voll erfüllte Prämien nach sich ziehen können.

Zeitungen verkünden EreignisseZum Schluss einer Runde tritt ein positives oder negatives Ereignis ein und für die folgende Runde wird ein neues Ereignis angekündigt sowie angezeigt, ob der Rundenmarker ein oder zwei Felder vorrückt. So herrscht Unsicherheit darüber, wann das Spiel wirklich beendet ist und wie viele Aufträge man im letzten Spieldrittel noch an Land ziehen sollte. Dieses Schema wiederholt sich, bis der Rundenmarker das letzte Feld der Leiste erreicht hat (8-12 Runden in einem Spiel in Vollbesetzung). Die Spieler handeln noch die letzten Aufträge ab und multiplizieren die erreichten Prestigepunkte mit ihrem Vermögen, um den Sieger zu bestimmen.

AufträgeBremerhaven ist ein abendfüllendes Spiel, dessen Reiz zum einen durch den Bietmechanismus und zum anderen durch die Anforderung bestimmt wird, den Warenein- und -ausgang, Schiffsliegezeiten und Auftragsfristen miteinander zu synchronisieren. Selbstverständlich ist es ratsam, möglichst bald die eher niedrigen Einflusskarten gegen bessere einzutauschen. Die Interaktion beim Bieten ist hoch und spannend, während die Optimierung der Möglichkeiten durch den Gebäudebau die Unwägbarkeiten beim Bietprozess auffangen kann. Die Gebäude auf dem eigenen Areal bescheren nämlich nicht nur Prestigepunkte, sondern auch Vorteile wie z. B. Lageroptimierung oder zusätzliche Einkünfte. Die Ereignisse sorgen für Abwechslung und sind ein guter Gegenpol zu dem starren Rundenablauf, der seinerseits einen roten Faden bietet. Das Spielmaterial ist grafisch liebevoll gestaltet (allein die Personenplättchen sind ein Augenschmaus, da sie individuell gezeichnet sind und an einige andere von Klemens Franz illustrierte Spiele erinnern), wenngleich Verwöhnte die Warenplättchen gerne gegen Holzteile tauschen möchten. Die Regel lässt kaum Fragen offen und ist gut strukturiert. So bleibt zunächst festzuhalten: Die Lösung der Aufgabe, Anlieferung, Lagerung und Verladung möglichst effektiv aufeinander abzustimmen, erfüllt bei Erfolg mit Genugtuung und macht viel Spaß.

SchiffeBei allen Vorzügen des Spiels gibt es aber auch ein wenig Schatten. Damit meine ich nicht das blinde Bieten, das nicht jedem Spielertyp behagt. Das Problem besteht eher darin, dass es nur wenige wirklich wichtige Bietfelder gibt, auf denen sich stets ein Großteil aller Spieler tummeln. Besonders das Feld "Baugenehmigung" ist ein Nadelöhr, durch das die Hafenmeister gehen müssen, um ihren Hafen für die kommenden Aufgaben zu rüsten. Wenn nur ein Mitspieler hier mehr als nur eine Einflusskarte ausspielt, ist es sehr wahrscheinlich, dass alle anderen die Gebote immer höher schrauben, sodass nur wenige diese Aktion nutzen können, aber eigentlich alle ihre wertvollen Karten verschwendet haben. Diese Spielweise ist regeltechnisch ausdrücklich legitimiert, führt jedoch dazu, dass schon einmal einzelne ihre Pläne in Rauch aufgehen sehen oder gar keinen Anschluss mehr an die anderen finden. Paradoxerweise verlagert sich unter solchen Vorzeichen das Augenmerk ganz auf den Stadt-Plan, während die Schiffe und Aufträge erst im letzten Spieldrittel umkämpft sind. Das hat zur Folge, dass diese Stapel kaum bis zu ihrem letzten Viertel durchgespielt werden. Doch hier befinden sich die prestigeträchtigen Karten, auf die man im gesamten Spiel dann vergeblich wartet. Nur in der beigefügten Kurzversion, in der es eine feste Rundenzahl und keine Ereignisse gibt sowie die Spieler bereits mit einem Kontingent an Waren beginnen, ist sichergestellt, dass einige wirklich lukrativen Schiffe und Aufträge verfügbar werden. Bauchschmerzen können auch die unterschiedlich starken Gebäude bereiten: Ein knappes Höchstgebot kann hier die Schere bei den Prestigepunkten um bis zu drei Zähler auseinander klaffen lassen kann. Die Möglichkeit, Bietkarten auf dem Stadt-Plan einfach nur unter das Feld "Geld kassieren" abzulegen und dann für jede Karte eine Münze zu erhalten, ist dahingegen ein bloß schwaches Trostpflaster für das Fehlen attraktiver Alternativen. Allerdings kann man so wenigstens den Faktor Geld für die Endabrechnung gefahrlos steigern.

PassagiereDas Spiel zu zweit kennt die Fallstricke der Konkurrenz kaum, eine Nadelöhr-Situation ergibt sich seltener. Dafür verlaufen die Partien spannungsärmer. Die Solo-Variante, in der man gegen einen Dummy antritt, punktet durch patienceartigem Reiz und die Tatsache, dass fast immer sinnvolle Alternativen vorhanden sind.
Trotz der erwähnten Einwände hinterlässt Bremerhaven unter dem Strich einen noch günstigen Gesamteindruck. Ein neues "Le Havre", wie es der Schriftzug der Schachtel suggeriert, sollte man jedoch nicht erwarten. Ich persönlich lass mich immer gern von den Schiffssignalen locken, um mein Geschick in Hafenlogistik unter Beweis stellen zu können. (thb)

Steckbrief
Bremerhaven
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Robert Auerochs Lookout Spiele 1 - 4 Spieler ab 12 Jahre 60 - 120 Minuten Klemens Franz