LibertaliaLibertalia

Libertalia - das ist unser Traumdomizil. Wir, das sind bis zu sechs Piratenkapitäne, die mit voller Fahrt auf den wohlverdienten Ruhestand auf ebenjener Insel zusegeln. Doch da unsere Heimatstaaten immer noch so rückständig sind, dass sie harte Jahre als Pirat nicht mit einer entsprechenden Rente belohnen, müssen wir nochmal fette Beute machen. Drei sogenannte Kampagnen zu je sechs Tagen sind geplant; an jedem Tag wird ein Schiff überfallen, im Spielverlauf also insgesamt 18. Wer aus dieser Akkordarbeit als reichster Pirat hervorgeht hat gewonnen, darf also ab nach Libertalia - alle anderen müssen sehen, wo sie bleiben!

CharaktereSehen wir uns mal unseren Tagesablauf an: Wir starten mit zehn Dublonen. Am Anfang jeder Kampagne wird geschaut, welche Besatzungsmitglieder uns dafür zur Verfügung stehen. Ein Spieler zieht hierzu zufällig neun Karten aus den 30 vorhandenen; dies ist der Kartensatz, mit dem alle die Kampagne angehen. Jedes Schiff, welches wir überfallen, hält zufällig gezogene Beutestücke gemäß der Anzahl der Mitspieler parat, es bekommt also in der Regel jeder eines - obwohl er es vielleicht gar nicht haben möchte...Ein Tag, also Überfall, beginnt mit dem Sonnenaufgang. Hierbei spielen alle verdeckt eine Karte aus ihrer Hand aus. Diese werden aufgedeckt und in aufsteigender Nummernfolge auf den Plan gelegt. Bei gleicher Nummer entscheidet eine Ordnungszahl auf den Karten, ein System, welches beispielsweise aus Amazonas (Kosmos) bekannt ist. Es folgt der Tag, an welchem in aufsteigender Folge alle Spieler nacheinander eventuell vorhandene Tagesaktionen durchführen. In der Dämmerung dürfen sich alle in umgekehrter Reihenfolge, also von der höchsten zur niedrigsten Karte, an der Beute bedienen. Anschließend wandern die Piraten in der Regel in die eigene Höhle, wo sie in jeder Nacht, in der sie sich dort noch befinden, vorhandene Nachtaktionen (meistens Geldbeschaffung) durchführen können. Am Ende einer Kampagne, also nach sechs Tagen, schließlich, dürfen alle noch in den Höhlen vorhandenen Piraten, sofern damit ausgestattet, eine Ruhetagsaktion durchführen (ebenfalls meistens Geldbeschaffung). Anschließend zählt jeder seine Dukaten zusammen und addiert den Wert seiner bei den sechs Überfällen gesammelten Schätze. Letztere gibt es in den Werten eins, drei und fünf; es gibt allerdings auch verfluchte Reliquien, welche mit drei Minuspunkten zu Buche schlagen. Nun wird alles bisher Gesammelte und alle bisher eingesetzten Charaktere abgeräumt und wir starten mit zehn Dublonen, den übrigbehaltenen Karten und sechs Neuzugängen in die nächste Kampagne.

CharaktereWem der Ablauf des Spiels vertraut vorkommt, den trügt sein Gefühl nicht: Libertalia ist - vorsichtig ausgedrückt - klar inspiriert von Grimoria (Schmidt) bzw. dessen japanischem Original Grimoire, wenn der Ablauf auch etwas anders angeordnet ist. Vergleichbar sind: Sonnenaufgang=Zauberspruch auswählen; Tag=Zauber ausführen; Dämmerung=Karte nehmen; Nacht/Ruhetag=Karteneffekte anwenden. Dies wäre an sich nicht tragisch, Variationen bekannter Mechanismen gibt es ja diverse. Der Pferdefuß hierbei ist, dass Libertalia gegenüber Grimoria das deutlich schlechtere Spiel ist. Woran das liegt? Dies beginnt bei der zufälligen Deckzusammenstellung: Bei Grimoria sind die nach und nach ins Spiel kommenden Zaubersprüche fein aufeinander und auf den Spielablauf abgestimmt. Hier kommen häufig Decks zusammen, welche nicht harmonisch oder schlichtweg zu einseitig sind - mal gibt es kaum Tagaktionen, mal kaum Nachtaktionen, mal halten die Charaktere keine Wechselwirkungen parat und der Ablauf der Kampagne wirkt bruchstückhaft. Außerdem gibt es oft genug nur eine sinnvolle Ausspielfolge, was häufige Gleichstände zur Folge hat. Dies bringt uns zur Gleichstandsregelung: Das System mit den Ordnungszahlen war schon bei Amazonas nicht überzeugend, dies gilt auch hier. Zwar sind die Zahlen bei allen sechs Farben gleichmäßig verteilt, aber dank der zufälligen Deckzusammenstellung können Spieler bei Gleichständen natürlich stark bevorzugt oder benachteiligt sein. Was das Spiel aber endgültig auf Grund laufen und die Gleichstandsregelung so frustrierend werden lässt ist die Auswahl der Schätze und deren Zusammensetzung: Neben den weiter oben erwähnten gibt es noch Schatzkarten. Diese sind zwölf Punkte Wert, aber nur, wenn man innerhalb einer Kampagne drei Stück bekommen hat, denn nur dann ist die Schatzkarte komplett, nur ein oder zwei Teile sind vollkommen wertlos. Im Spiel zu zweit und zu dritt ist das die Regel, denn selten kommen überhaupt innerhalb einer Kampagne drei Teile auf die Schiffe. Außerdem gibt es Säbel und spanische Offiziere. Ein genommener Säbel verpflichtet mich dazu, einen Charakter aus der Höhle eines Mitspielers zu entfernen. Bei einem spanischen Offizier darf ich meine eigene ausgespielte Karte nicht in meine Höhle legen, sondern muss sie sofort abwerfen. Leider sorgen vor allem die Säbel dafür, dass Nacht- oder Ruhetagsaktionen sich kaum auszahlen, da die entsprechenden Charaktere in meiner Höhle schnell von den Mitspielern wieder gemeuchelt werden. Beide, Säbel sowie Offizier, sind aber neben der Wirkung null Punkte Wert - es sei denn, es ist gerade eine passende Charakterkarte im Deck, welche diese in Punkte zu wandeln vermag. Der Spieler, welcher sie sich nimmt, profitiert selbst also häufig nicht davon. Das Problem: Alle Schatztypen sind gleich häufig im Säckchen, aus dem sie gezogen werden, vorhanden. Hier hätte es unbedingt einer abgestimmten Zusammensetzung bedurft, denn jetzt gibt es in der Auslage viel zu viele "Schätze", die null Punkte oder gar Minuspunkte bringen. Im Extremfall macht ein glücklicher Mitspieler dadurch bei einem Überfall acht Punkte mehr als ich, nur weil er beim Gleichstand die höhere Ordnungszahl hatte! Dies führt häufig zu deutlich weit auseinander liegenden Endständen und selbst für den Gewinnenden zu einem negativen Spielgefühl. Bei Grimoria bekomme ich als durch einen Gleichstand benachteiligter vielleicht nicht meine Wunschkarte, aber ich bekomme immer eine Karte, die mir etwas nützt und habe somit ein positives Spielgefühl.

CharaktereEs ist eigentlich nicht mein Stil, in einer Rezension ständig den Vergleich mit einem anderen Spiel heranzuziehen, aber wer sich so offensichtlich an einem Spiel orientiert, muss dies dann auch in Kauf nehmen. Libertalia hat interessante Ansätze und das Potential zu einem schönen, unterhaltsamen Blindbietspiel. Es hätte schlichtweg noch eine Menge Redaktionarbeit benötigt. Das Traurige ist, dass die Mängel klar ersichtlich sind; deren Beseitigung aber noch viel Feinabstimmung und viele Testpartien erfordert hätte. Diese Zeit hat man sich leider nicht genommen - ein Eindruck, der durch einen Grafikfehler auf dem Spieltableau und die deutsche Regel noch bestärkt wird: Selten habe ich eine Regel gesehen, bei der alles so beiläufig erwähnt wirkte, selten eine mit so vielen Rechtschreib- und Grammatikfehlern (übrigens auch auf den Karten). Auch ein kurzer Überblick über die Interpretation der einen oder anderen Karte wäre schön gewesen, aber ein Glossar ist leider nicht vorhanden. Immerhin wissen das Spielmaterial und seine schöne Gestaltung voll zu überzeugen - vom Spiel selbst kann man das leider nicht behaupten. Schade drum! (fd)

Steckbrief
Libertalia
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Paolo Mori Marabunta 2 - 6 Spieler ab 14 Jahre 40 - 60 Minuten Benjamin Carré, Stéphane Gantiez