Welcome to Walnut GroveWelcome to Walnut Grove

Wir schreiben das Jahr 1885. Nahe des ( für heutige Verhältnisse ) verschlafenen Städtchens Walnut Grove hat der Farmer Landon sich ein Anwesen gesichert. Gemeinsam mit seiner Frau nennt er nun ein kleines Wohnhaus und eine Scheune seine Eigen, sowie ein Stück Weideland, ein Getreidefeld, ein Stück Wald, einen See und ein wenig des an die Farm angrenzenden Gebirges. Alles könnte nun zufrieden seinen Gang gehen, doch Farmer Landon hat von einem Wettbewerb gehört: Walnut Grove sucht den Superfarmer. Vier Farmen dürfen teilnehmen, wessen Farm nach acht Jahren gemäß dem Urteil einer unabhängigen und (fast) unbestechlichen Jury am attraktivsten und ertragsreichsten ist, der Erhält eine Walnut-Grove-Premium-Kundenkarte auf Lebenszeit, was ihm nicht nur verbesserte Einkaufskonditionen, sondern auch eine eigens reservierte Seite des Kundentresens in allen Geschäften bringt - nie wieder Zeit mit langem Warten verschwenden, die man doch viel besser mit ehrlicher Arbeit auf den Feldern zubringen könnte. Landon ist Feuer und Flamme. Rasch ist die Anmeldung ausgefüllt und sofort wird ihm, wie allen Teilnehmenden, ein Knecht zugewiesen, der ihn beim Ausbau der Farm unterstützen soll. Im Frühling des kommenden Jahres soll es losgehen.
SpielplanSo trifft der ganz in Gelb gekleidete Knecht Adrian Anfang des Frühjahrs auf der Farm zur Besprechung ein. Es sind harmonische Zeiten und so fragt Farmer Landon seinen Gehilfen, was er denn im Winter des Jahres als Bezahlung haben möchte. "Getreide!" antwortet dieser (heutzutage würde er wohl strahlend in die Kamera lächeln und "Cerealien!" sagen, gefolgt vom passenden Werbespot...). Der Farmer selbst hat das Gefühl, dass die Kühe dieses Jahr besonders viel Milch geben werden, und so studiert er die Feldausbauangebote an der örtlichen Bank und entscheidet sich für ein Stück Weideland, so dass er nun mehr Kühe halten kann. Er selbst kümmert sich dieses Jahr denn auch um das Melken der Kühe, Knecht Adrian darf sich (gefälligst!) sein Getreide selbst erwirtschaften. Im Herbst fährt Farmer Landon in die große Stadt (also Walnut Grove...), um die Voraussetzungen für den weiteren Farmausbau zu tätigen. Doch weil man sich in diesen Tagen noch die Zeit nimmt für einen ( oder zwei, drei...) Kaffee und ein gemütliches Gespräch, schafft er es bei seinem Besuch nur, in der Kirche ein wenig Gestein und etwas Holz für kommende Anschaffungen zu erbitten (als Gegenleistung möge er doch, wann immer er den jährlichen Kirchenbasar besucht, eine kleine Spende dort lassen, Gott habe ihn selig!). Und so geht das erste Jahr zu Ende. Alle sind glücklich und zufrieden, obwohl Farmer Landon gerne noch viel mehr geschafft hätte - aber so sind sie halt, die Farmer...

AuslageIm Folgenden Auszüge aus den Tagebucheinträgen von Farmer Landon der weiteren sieben Jahre:

Jahr 2: Habe direkt neben unserem Getreidefeld ein Stück See erworben - die Topologie hier ist eigenartig, der See scheint eine gerade Kante zu haben, an welche eine Weide anschließt.
Knecht Adrian erbat verlangte von mir Feuerholz für sein Lagerfeuer - ich werde wohl einen weiteren Knecht anwerben müssen, denn da ich dieses erwirtschaften musste, konnte ich nicht nutzen, dass die Fischbestände dieses Jahr besonders reichhaltig sind.
Musste erfahren, dass man für Knechte eine Anwerbegebühr bezahlen muss - habe bei Joe, dem Eigner des Saloons, eine Kanne Milch bezahlt, um den Knecht Bernard anzuwerben. Er wird im kommenden Frühjahr zu uns stoßen, dieses Jahr übernimmt Joe noch seine Bezahlung, was sehr gütig von ihm ist.

Jahr 3: Warum kann Bernard nicht Getreide als Bezahlung akzeptieren, wie Adrian auch?! Nein, er möchte Fisch, eine Jahresration Fisch! Der verdirbt doch! Und muss von irgendwem geangelt werden! Und Adrian selbst? Verlangt eine doppelte Ration Getreide, sagt, das sei derzeit beim Backen nicht sonderlich ergiebig. So ein Quatsch! Und Feuerholz will er natürlich auch, ebenso wie Bernard, den er wohl schon angestiftet hat! Wenn ich doch bloß "Nein" sagen könnte! Aber ich kann nicht riskieren, dass sie uns verlassen, dann wird's nichts mit dem Superfarmer - also Augen zu und durch. Überlege, Adrian eine Hütte zu bauen, damit er mich nicht jedes Jahr um Feuerholz fürs Lagerfeuer bitten anschnorren muss.
Habe bei Mr. Carpenter eine Fertigbauhütte erworben, die er mir noch vor dem Winter liefern wird. Ein wenig Fisch und Gestein wollte er dafür haben - nicht billig, aber das ist es wert. Musste allerdings am Rathaus eine Münze Steuern entrichten. "Wenn sie schon mal da sind!" sagte der Kämmerer und knöpfte mir das Geld noch auf der Straße ab!

TresorJahr 4: Ich wittere Verrat! Jetzt wohnt Adrian in seiner hübschen Hütte, nun will Bernard plötzlich die doppelte Ration Feuerholz! Die sprechen sich doch ab! Dem baue ich nicht auch noch eine Hütte, ich muss die Scheune vergrößern, sonst passen die Vorräte bald nicht mehr hinein und ich muss das Erwirtschaftete verscherbeln.
Habe mir bei der Kirche zwei Portionen Gestein erbeten. Musste allerdings vorher beim Basar, wie versprochen, eine Münze spenden. Muss wieder zu Geld kommen!

BrunnenJahr 5: Die Auswahl an Landausbauten wird auch immer geringer - dabei muss ich dringend mehr Gestein erwirtschaften.
Habe beim Kramerladen je eine Portion Fisch, Milch und Holz verkauft und jeweils eine Münze dafür erhalten. Beim Hinausgehen raunte mich der alte Mr. Soebuck an und gab mir den Tipp, dass die Münzen unterschiedlich viel Wert seien, je nach Prägungsdatum. Habe gegen die Zusage, nächstes Jahr einen Farmausbau in seinem Laden zu kaufen, einen Katalog von ihm bekommen. Eine meiner Münzen ist sehr wertvoll, die anderen beiden allerdings wertlos. Ich muß unbedingt noch einmal Waren verkaufen, ich will wertvollere Münzen. Fällt das eigentlich schon unter illegales Glücksspiel? Ach was, ich glaube nicht - ich spekuliere ja nur ein bisschen!

Jahr 6: Habe bei Mr. Soebuck wie versprochen etwas erworben: Keinen normalen Ausbau, sondern Sonderpunkte für die Prüfungskommission. Mein Münzvermögen wird bei der Wertung nun besonders gewichtet. Wie letztes Jahr bereits festgestellt: Ich muss Waren verkaufen!

Jahr 7: Habe bei Joe noch einen Knecht angeworben, denn ich habe gehört, dass die Kommission auch die Anzahl der Erwerbstätigen auf dem Gut besonders wohlwollend berücksichtigt.

NachbarscshafthilfeJahr 8: Revolte! Skandal! Alle drei Knechte wollen dieses Jahr doppelt vergütet werden! Zudem soll ich für Bernard und für den Neuen (der übrigens Milchprodukte haben will, alles andere wäre ja zu einfach!!!) die doppelte Ration Feuerholz beschaffen! Wie soll das gehen! Ich muss doch Münzen kriegen (lechz!).
Hurra! Habe Getreide, Fisch und Milch verkauft - habe zwei sehr wertvolle und eine etwas wertvolle Münze bekommen. Leider hatte ich nun eine Portion Getreide und eine Portion Fisch zu wenig. Die Nachbarn waren so lieb, mir auszuhelfen, doch sie wollten die dreifache Menge an beliebigen Waren zurück! Die zweite Familie jedenfalls, die habe ich bereits mit zwei Portionen Milch und einer Ladung Holz bezahlt, die erste sagt, sie wollen nicht, dass jemand auf ihrem Anwesen gesehen wird, der nicht anständig wirtschaften kann. Frechheit! Außerdem werden sie es der Prüfungskommission melden! Ich wittere Verschwörung!! Aber meine Münzen werden mich retten!

Epilog: Trotz seiner wertvollen Münzsammlung reichte es für Landon's Farm nur zum zweiten Platz. Es gewann Farmer Ewing, welcher sich auf Getreidewirtschaft spezialisiert und nur Knechte angeworben hatte, die Getreide als Bezahlung akzeptierten. Farmer Landon war wohl etwas zu gutmütig - vielleicht war es aber doch die Strafe für die Münzspekulationen, denn alle waren sich einig, dass diese unter Glücksspiel fielen, und somit Sünde waren! Farmer Ewing hatte dafür nur ein verwegenes Grinsen übrig.

JahresradFassen wir zusammen: Das Jahr in Walnut Grove ist klar strukturiert: Am Runden(Jahres-)anfang wird die oberste Jahresscheibe aufgedeckt. Sie zeigt uns, was dieses Jahr auf uns zu kommt und welche eventuellen Boni wir ergattern können. Nacheinander werden dann die Jahreszeiten abgehandelt: Im Frühjahr ziehen wir eine vorgegebene Zahl Ausbauplättchen aus einem Sack und bauen eines davon an (nur eines der acht Jahre erlaubt den Anbau von zweien). Im Sommer erwirtschaften der Farmer und die Knechte Waren auf den Feldern - je größer die zusammenhängende Anbaufläche, desto mehr. Im Herbst ziehen wir unsere Spielfigur auf einem Rundkurs durch die Stadt vor ein Gebäude unserer Wahl und führen dessen Aktion durch, im Winter wollen die Knechte ernährt werden und Feuerholz bekommen.
Die oben beschriebene Spezialisierungstaktik von Farmer Ewing ist eine Möglichkeit, mit der man das Spiel gewinnen kann - sie setzt aber Glück beim Ziehen der Anbauplättchen voraus, denn man braucht eine große ununterbrochene Anbaufläche Getreidefelder oder Seen. Auch mit Landons Münz-Taktik ist der Sieg möglich - Glück beim Ziehen der Münzen aus dem Beutel und guter Überblick beim Wirtschaften vorausgesetzt. Es gibt diverse weitere Taktiken, mit denen dieses Spiel gewonnen wurde - so erreicht es eine beachtliche taktische Vielfalt bei einer Spielzeit von zumeist unter, selten einmal knapp über einer Stunde. Allerdings muss die diversen Glücksfaktoren in Kauf nehmen, wer in Walnut Grove glücklich werden will. Das Ziehen der Landschaftsplättchen, die Auswahl an Ausbauten und Knechten, aber allen voran die Münzen, die beim Warenverkauf blind aus einem Sack gezogen werden: Hier macht die Differenz zwischen einer gezogenen Kupfermünze (0 Punkte am Spielende) und einer Goldmünze (2 Punkte am Spielende) bei einem Endstand zwischen 25 und 35 Punkten schon sechs bis acht Prozent des Endergebnisses aus.

GesamtauslageInteressant ist, wie sehr der Charakter des Spiels bei verschiedenen Spielerzahlen differiert. Dazu muss man wissen, dass vor den meisten der oben erwähnten Gebäude in der Stadt nur ein Platz ist, also immer nur ein Spieler pro Runde seine Funktion nutzen kann. Außerdem richtet sich die Spielerreihenfolge nach der Position der Figuren am Rundenanfang. Zu zweit entsteht so zumeist ein sehr friedliches Spiel, da die beiden Kontrahenten sich in der Regel eine halbe Runde voneinander entfernt durch die Stadt bewegen. Zu viert sieht es da ganz anders aus: Hier ist es so voll, dass einem mitunter nur eine oder auch mal gar keine sinnvolle Aktion zur Auswahl bleibt - man muss die Bezahlung der Gebäudefunktion ja mit der Versorgung seiner Knechte abstimmen, daher kommen nicht alle eventuell noch freien Gebäude in Frage. Zu dritt hält sich das Ganze die Waage, daher ist dies die von mir bevorzugte Spielerzahl - Walnut Grove funktioniert aber nichtsdestotrotz in allen Besetzungen gut, verlangt aber in Vollbesetzung taktisch flexibles Denken und Frusttoleranz.
Leider steht die Anleitung dem Spielspaß zunächst im Wege: Das Nichtvorhandensein einer ( idealerweise bebilderten ) Teileauflistung erschwert unnötigerweise den Einstieg, außerdem widerspricht die Anleitung sich an einer Stelle selbst.
Wer diese Startschwierigkeiten überwindet, den erwarten kleine Entscheidungen, von denen aber nie eine belanglos ist und eine kurze, knackige Spieldauer - für mich ist Walnut Grove ein taktischer Leckerbissen für zwischendurch, bei dem es mich nicht wundern würde, ihn auf der Empfehlungsliste zum Spiel des Jahres wiederzufinden. Ich jedenfalls reise immer wieder gern in den mittleren Westen! (fd)

Steckbrief
Welcome to Walnut Grove
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Touko Tahkokallio, Paul Laane Lookout Spiele 1 - 4 Spieler ab 10 Jahre 30 - 60 Minuten Klemens Franz