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Bereits vor seiner Veröffentlichung hat 504, das neue Spiel von Friedemann Friese in seinem 2F-Verlag, hohe Wellen geschlagen. Mit neun Spielmodulen ausgestattet, die allesamt miteinander in unterschiedlicher Reihenfolge kombiniert werden können, erwartet uns eine Art Baukastensystem für das erwachsene Spielkind: 9 mal 8 mal 7, also 504 Spiele in einem. Wie soll man das rezensieren? Ich versuche es in Form eines Berichts über meine Erfahrungen mit 504.

MaterialDie erste Begegnung mit dem Spiel ist bereits ehrfurchtgebietend. Für das viele Geld erhält der Käufer wahrlich opulentes, häufig im 2F-charakteristischen Grün eingefasstes Spielmaterial. Hunderte von Holzteilen, Unmengen von Karten sowie unzählige Marker und Spielplanteile wollen von mir ausgepackt und sortiert werden. Neben der 32-seitigen Spieleanleitung liegt ein sog. "Buch der Welten" im Ringbuchformat bei, bei dem im Stile der "Mix Max"-Spiele eine DINA4-Seite in drei separate Abschnitte aufgeteilt ist. So kann man die darauf abgedruckten Aufbauanweisungen und Regeln je nach gespielter Welt (zumeist kurz als Zahl mit den jeweiligen Nummern benannt, z. B. 542) zusammenstellen. Die erste Zahl bestimmt das oben stehende Modul ("TOP I"), das die Bedingungen für das Spielende enthält und erläutert, wofür es Siegpunkte gibt. Auf "TOP II" (Mitte) interessieren vor allem die Angaben für das individuelle Einkommen pro Runde, während das unten stehende Modul ("TOP III") zumeist kleinere Details ergänzt, die das Spiel "würzen" sollen. Zusätzlich werden Spielaufbau und benötigtes Material erläutert. Die neun Module umfassen die prototypischen Spielmechanismen Warentransport, Wettlauf, Spiel mit Privilegien, militärische Auseinandersetzung, Entdecken, Straßenbau, Konkurrenz um Mehrheiten, Produktion und Aktienhandel. Im Regelheft sind jedem einzelnen Modul zwei eigene Seiten Erklärungen gewidmet! Wo soll ich da nur anfangen?
Zum Glück wird auf den ersten Seiten die Einsteigervariante "123" vorgestellt, die den putzigen Titel "Die Welt der fahrenden Pioniere mit Hang zum Individuellen" trägt. Für ein Einführungsszenario ist der Aufwand des Aufbaus nicht unerheblich, wollen doch 61 Spielplanteile zusammengesetzt und die weiteren notwendigen Materialien hervorgeholt werden. Es entsteht ein ausuferndes, die Maße des Spieltisches fast sprengendes Tableau, das den Betrachter ein wenig an Die Siedler von Catan erinnert. Nun muss ich "nur noch" die zweiseitigen Erläuterungen lesen. Ich versuche alles nachzuvollziehen, was angesichts der vielen neuartigen Teile und der ungewohnten Begriffe nicht immer leicht ist.
Nach einiger Zeit kann ich "123" endlich meinen zwei Mitspielern erklären. Kurz gesagt geht es darum, Waren mithilfe eines ausbaufähigen Transportwagens über unterschiedliche Landschaften von Stadt zu Stadt zu transportieren. Jede Ware wird nur einmal in einer Stadt angenommen, sodass man sich sputen muss, dass die Konkurrenz einem nicht zuvorkommt. Siegpunkte gibt es am Ende für Sets gelieferter Waren. Die Erklärung dauert 30 Minuten, dann legen wir los. Während der Partie fällt uns auf, dass es trotz großer Spielfläche eng wird, doch ansonsten funktioniert alles. Nach 45 Minuten steht der Sieger fest. Wir schauen uns fragend an: Das war alles? So viel Aufwand für eine Dreiviertelstunde Spiel? "Ist nett", sagt der eine Mitspieler, "Siedler macht mir aber mehr Spaß", sagt die andere. Egal, das Szenario dient ja nur dem Kennenlernen, da gibt es sicherlich noch einiges zu entdecken. Zur Sicherheit spielen wir es noch einmal zu zweit, doch auch dieses Mal will der Funke nicht überspringen.

Regelseite aus dem RingbuchWie nun weiter verfahren? Die Anleitung empfiehlt, als nächstes die Welten "456" und "789" auszuprobieren, um alle Module kennenzulernen. Wir versuchen es zunächst mit "456". Doch bevor es richtig losgehen kann, muss ich mich doch durch das Regelwerk arbeiten. Dort erwarten mich die allgemeinen Spielregeln und eine detaillierte Einführung in die Benutzung des "Buches der Welten". Darin muss ich die Kombination "456" aufschlagen. Um sicherzugehen, konsultiere ich die Hinweise zu den einzelnen Modulen in der Anleitung. Dann kann es endlich losgehen. Dieses Mal geht es konfrontativ zu, es sind mit Würfel ausgetragene Kämpfe zwischen den Bewohnern möglich, daneben werden mit einem etwas umständlichen Kartenmechanismus Landschaften entdeckt. Straßenbau erlaubt das zügige Bewegen der Figuren über das Spielfeld. Es kommt zu eher wenigen Konflikten, weil wir den Fokus auf das Entdecken legen. Zunehmend nachlässiger wickeln wir dabei das Prozedere ab, weil die Abläufe doch recht eintönig wiederholend sind. Nach nur 30 Minuten sind wir "durch". Wieder sehen wir uns an: Man kann das spielen, aber es weckt keinen Wiederspielreiz.

Auf der Suche nach einer wirklich spannenden Kombination erkundige ich mich schließlich danach, welche Welten der Verlag während der "Spiel" 2015 in Essen zu Demonstrationszwecken verwendet hat (es waren die Nummern "163", "872" und "549"). Für eine größere Runde wähle ich die Welt "872": Hier errichten wir auf den Landschaftsfeldern Produktionsbetriebe, in den Städten gründen wir Handelshäuser. Am Spielende erhält man für die Handelshäuser und Warensets Siegpunkte. "TOP II" zeigt an, dass wir in den einzelnen Runden Geld für Mehrheiten an Betrieben auf einzelnen Landschaftstypen als Einkommen bekommen. "TOP III" ergänzt den Aspekt des Wettlaufs: Es winken zusätzliche Siegpunkte für denjenigen, der als erster drei Betriebe für eine Warensorte besitzt. Gemessen an der Vorbereitung und dem Aufbauaufwand ist der Spielspaß wiederum übersichtlich, zu häufig müssen die Grundregeln und die vielen zusätzlichen Bestimmungen in Erinnerung gerufen werden. Dafür geht auch diese Partie dann aber auch rasch zu Ende.

MehrheitentabelleJust an diesem Punkt finde ich im Internet die eigens für 504 eingerichtete Website, auf der Spieler einzelne Welten bewerten können. Ich setze also auf die Schwarmintelligenz und entscheide mich für die hochbewertete Nummer "981", die einigermaßen viele Nutzer empfehlen. Es ist die "Welt der börsennotierten Unternehmer auf Reisen". Mittlerweile weiß ich, wie wichtig es ist, als Erklärer die Regeln eines Szenarios parat zu haben. Aus diesem Grund lese ich mich erneut intensiv ein und simuliere zunächst allein eine Mehrspielerpartie. "Das Buch der Welten" teilt auf "TOP I" mit, dass das Modul 9 (Aktien) so komplex ist, dass man dafür die ausführlichen Spielregeln hinzuziehen soll. Doch auch das reicht nicht aus, es kommt zu einem wilden Nachschlagen bei den allgemeinen und speziellen Regeln. Zusätzlich muss ich immer wieder die Übersicht über den Ablauf einer Runde hinzuziehen, da in "981" ominöse "Aktien-" und "Betriebsrunden" in einem bestimmten Takt aufeinander folgen. Ich erkenne, dass ich diese Welt nicht ohne Hilfsmittel erklären kann. Also entwickle ich selbst einen eigens auf "981" abgestimmten Überblick über die Rundenphasen und Aktionsmöglichkeiten, außerdem konzipiere ich eine Rundenleiste, damit allen klar ist, ob wir uns in einer "Aktien-" oder "Betriebsrunde" befinden. Diese Vorbereitungen nehmen doch einige Stunden in Anspruch, immerhin ist die Spielerhilfe vier (!) DIN A4-Seiten lang. Der große Tag kommt, ich habe bereits eine Stunde zuvor den komplexen Spielaufbau erledigt und kann mithilfe der selbst gebastelten Übersicht in nur 30 Minuten die Regeln erklären, wenngleich ich auf den Spielerhilfen noch nicht alles ganz korrekt festgehalten habe.
In der Welt "981" können wir bei Aktienmehrheit die Geschicke einer oder mehrerer Gesellschaften lenken. In den "Aktienrunden" handeln wir mit den Wertpapieren und erhöhen so u. a. das Eigenkapital der Unternehmen, das wir in den "Betriebsrunden" in Warenproduktion und -transport stecken können. Am Ende soll der reichste Spieler (an persönlichem Vermögen und Unternehmensanteilen) gewinnen, doch dazu kommt es nicht. Runde für Runde wird das Spiel unübersichtlicher, die Verwaltung der unterschiedlichen Geldtöpfe ist viel zu kompliziert und fast schon qualvoll. Schließlich reicht das Spielgeld nicht aus, immer wieder müssen wir die Partie unterbrechen, um Geldscheine zu wechseln. Der ganze Ablauf ist zudem recht eintönig und der führende Spieler kaum noch einzuholen, dabei reibt uns der ganze Verwaltungsaufwand auf. Schließlich reißt der Geduldsfaden und wir brechen ab. Das Spielprinzip lässt uns ratlos zurück, nur eins wird deutlich: dass sich die Spieler nicht noch einmal auf 504 einlassen wollen.

während eines Spiels504 ist ein konzeptionelle und verlegerische Mammutleistung, die allen Respekt verdient, doch leider ist bei der Entwicklung des Konzepts der Spielspaß auf der Strecke geblieben. Wie so oft liegen Genie und Wahnsinn auch hier eng beieinander. Das ausgeklügelte Spielsystem gibt vor, eine Art "Weltformel" für Spiele zu bieten, doch sind die Ergebnisse in den Testpartien nie über ein "nett" und "mittelmäßig" hinausgekommen. Zumindest funktionierten die meisten der erprobten Spielvarianten. Auf der Suche nach der "besten aller Welten" (Gottfried Wilhelm Leibniz) wird dann das Scheitern der Idee völlig offenbar. Vielleicht liegt dies auch in der Natur der Sache: Wenn sich unter den 504 Kombinationen wirklich ein spielerisches Kleinod auffinden lassen sollte, wäre es doch sinnvoller gewesen, allein dieses zu veröffentlichen, anstatt es dem Zufall zu überlassen, wer wann auf diese Perle stößt. Also schließe ich daraus, dass es diese eine brillante Variante nicht gibt, nicht geben kann. Um einen Wiederspielreiz zu erzeugen, fehlten fast sämtlichen gespielten Szenarien die Tiefe - es mangelt an der inneren Notwendigkeit, die einzelnen Welten weiter auszuloten.
Da 504 einen naturgemäß mechanistischen Charakter besitzt, kann hier auch kein Thema irgendetwas wettmachen. Bei abendfüllenden Varianten wie "981" schließlich stehen Aufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zueinander. Für eine bloße Satire auf die Spielerszene, die Jahr zu Jahr nach Neuem giert, ist das Spiel zu teuer und die Spielerfahrung zu frustrierend. Man fühlt sich bei 504 nicht wie ein "Ludosoph", der in seinem Labor unterschiedliche Spielewelten erschafft (so die dünne Rahmengeschichte), sondern eher wie ein Versuchskaninchen in einem Workshop für angehende Spieleautoren. Ich stehe für diese "Tierversuche" nicht mehr zu Verfügung. (thb)

Steckbrief
504
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Friedemann Friese 2F 2 - 4 Spieler ab 12 Jahre 30 - 120 Minuten Harald Lieske