De Vulgari EloquentiaDe Vulgari Eloquentia

Immer die gleichen Spielthemen! Wer hat das nicht einmal gedacht, als das x-te Bau-, Ägypten- oder Weinspiel auf dem Tisch landete? Diesen Vorwurf kann man Mario Papinis neuem Spiel, das in Lizenz bei "Lookout" erschienen ist, nun wahrlich nicht machen, geht es doch um nichts Geringeres als die italienische Sprachgeschichte, der die Mitspieler in einer Partie gehörig auf die Sprünge helfen sollen. Schon der sperrige Titel hat einen akademischen Klang: Mit "De Vulgari Eloquentia" (1304) überschrieb der italienische Nationaldichter Dante Alghieri (1265-1321) sein unvollendetes Werk über die Ausdruckskraft der aufblühenden italienischen Sprache. Diese Volks- oder Vulgärsprache ("Volgare") löste an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit das Lateinische als Verkehrs- und Handelssprache in Italien ab.

ManuskripteZu Spielbeginn sind die Spieler Kaufleute, die durch die unterschiedlichen Regionen Italiens reisen, um dabei sowohl Geschäfte zu machen als auch sprachliches Wissen anzuhäufen, um die Entwicklung einer neuen Volkssprache voranzutreiben und von dieser Entwicklung zu profitieren. Siegpunkte während des Spiels erlangt man durch das Einsammeln von Manuskripten in den Dialekten der besuchten Regionen (fünf Dialekte gibt es insgesamt). Um pro Runde ein Manuskript mit Werten von 1-4 zu sich nehmen zu können, muss man das passende Wissensniveau (1-4) durch Ansammlung von Wissenspunkten vorweisen können. Unter bestimmten Voraussetzungen steht später sogar das "Lingua Volgare"-Manuskript mit einem Wert von 8 Siegpunkten zur Verfügung. Hierfür benötigt man allerdings ein Wissensniveau von 8, das nur äußerst selten von einem Spieler erreicht wird.

OrdensbrüderDer Steigerung des Prestiges kann auch die Konversion vom Kaufmann zum Ordensbruder nach dem Vorbild des heiligen Franziskus dienen. Dazu begeben sich die Spieler in einen der beiden Konvente, geben die Hälfte ihres Vermögen ab und nehmen sich eines der 5 Rollen-Kärtchen, die unterschiedliche Vorteile (z. B. sofortiger Gewinn von Wissenspunkten oder Siegpunkte bei Spielende) bieten. Von nun an ist man finanziell jedoch auf Almosen angewiesen, die in der Regel der reichste Kaufmann zu Rundenbeginn auszahlen muss. Einmal Ordensbruder, kann man im späteren Verlauf in den Kathedralen von Mailand oder Brindisi zum Kardinal werden. Dazu bedarf es des Geldes (gewöhnlich 40 Dukaten) und der Unterstützung durch einen Adligen oder Politiker. Diese sind dargestellt durch rote und schwarze Klötzchen, die man bei entsprechendem Angebot während seines Zuges erwerben kann. Hinzu kommen die gelben Äbtissinnen, die beim Wissenserwerb unterstützen, oder grüne Schreiber, die in einer der drei Abteien auf dem Spielfeld in Wissenspunkte verwandelt oder zu Siegpunkten gemacht werden können. Mit roten (Wert: 3), schwarzen (2) und gelben (1) Klötzchen muss man auch die abschließende Wahl bestreiten. Erreichen die Spieler hier die insgesamt erforderlichen Wählerstimmen, können Kaufleute zu Bankiers, Ordensbrüder zu Mönchen oder Kardinäle zu Kardinalkämmerern aufsteigen, um Siegpunkte (6-14) zu machen. Ein Kardinal kann sogar zum Papst werden und so 22 Siegpunkte einheimsen.

KardinäleDie Wahl zum Papst setzt voraus, dass der Vorgänger verstorben ist. Dies kann frühestens in Runde 13, spätestens in Runde 16 der Fall sein, wenn das zweite rote päpstliche Ereignis-Kärtchen aufgedeckt und so das Spielende eingeläutet wurde. Bis dahin haben die Spieler jeweils 5 Aktionspunkte, die sie auf eine Vielzahl von Aktionen aufteilen können: Sie können sich u. a. über die einzelnen Regionen bewegen, dabei an Anfangs- und Zielort Vorteile (Wissen und/oder Geld) einkassieren oder die je zu Rundenbeginn auf das Spielbrett eingesetzten Ereignisse auslösen. Einmal im Zug ist es ihnen möglich, ein Manuskript zu studieren, das man dann hinter seinen Sichtschirm für die Endabrechnung ablegt. Bis zu 4 Aktionspunkte muss man zunächst für den Erwerb eines Plättchens aufwenden (je nach ihrem Wert), bis die niedrigsten aufgebraucht wurden und das übrige Angebot günstiger zu haben ist. Besitzt man Manuskripte in allen fünf Farben (wobei Handschriften der vierten Stufe einer von zwei Farben zugeordnet werden können), erhält man zum Schluss sogar 5 Bonuspunkte.

SpielplanBesonderes Augenmerk verdienen die auf dem Brett aufgedruckten Leisten, auf denen die Spieler für ihre Aktionspunkte fortschreiten können. Beim "Rätsel von Verona" kann z. B. der dort am Spielende Führende bis zu 6 Siegpunkte erlangen, wer am eifrigsten dem "Sonnengesang" aus der Feder des heiligen Franziskus in einer franziskanischen Stadt wie Assisi oder Celano nachgespürt hat, erhält bei der Endabrechnung 9 Punkte, der zweite immerhin noch 4. Ab der 12. Runde steht dann noch die Päpstliche Bibliothek offen. Auf dieser Leiste dürfen die Spieler dann voranschreiten, um einmal im Spiel je nach Standort 1-4 Kärtchen der Bibliothek aufzunehmen und eine davon zu behalten. Hier winken bis zu 4 Siegpunkte. Wer Pech hat, muss sich allerdings mit 2 Punkten begnügen. Angesichts einer Vielfalt lukrativer Optionen ist es besonders wichtig, Startspieler zu sein. Grundsätzlich gilt, dass der Spieler an letzter Position auf der Wissensleiste Startspieler wird, die übrigen folgen in aufsteigender Reihe. Dies können Mitspieler vereiteln, indem sie Aktionspunkte für die Leiste "Ausruhen" aufwenden. Wer hier an führender Stelle liegt, setzt sich nämlich vor alle anderen in der Spielerreihenfolge.

EreignisseDas Spiel bietet eine große, für manchen vielleicht auch zu große Bandbreite strategischer Möglichkeiten. Keine Partie gleicht der anderen. Es kann sein, dass bei einem Spiel der Aufstieg zum Papst mit dem Spielsieg belohnt wird, bei einem anderen ist es viel besser, bis zur abschließenden Wahl Kaufmann zu bleiben und dann Bankier zu werden, um mit viel Geld viel erreichen zu können. Auf den Gewinn des Manuskriptplättchens mit dem Wert 8 darf man nicht sicher rechnen, denn es kann durchaus sein, dass dies gar nicht ins Spiel kommt. Die zufällige Startaufstellung der Ereignisse trägt erheblich zur Variabilität bei. Der clevere Mechanismus, die Startspielerposition trotz Wissensvorsprung zu erlangen, ist dabei das Salz in der Suppe. Falsch ist die sich vielleicht anfangs aufdrängende Vermutung, dass das Spiel bestimmte Siegwege nur vorgaukelt. Grundsätzlich ist es jedoch angeraten, möglichst viele hochwertige Manuskripte zu sammeln und sich der Unterstützung möglichst vieler Adliger, Politiker und Äbtissinnen zu versichern. Ideal ist zu diesem Zweck das Spiel in größerer Runde, da bei zwei bis drei Spielern die Wahrscheinlichkeit sehr klein ist, dass das "Lingua Volgare"-Manuskript überhaupt ins Spiel kommt, und sich der Konkurrenzkampf auf den Leisten nicht als spannend genug erweist. Doch auch in Vollbesetzung zeigt sich, dass nicht sämtliche Aktionsoptionen wirklich attraktiv sind. Zumindest die sog. Orient-Leiste, die den Kaufleuten nach sechs Schritten einen 10-Dukaten-Bonus bei Geschäften beschert, oder die lange "Botschafter"-Leiste, an deren Ende 10 bzw. 15 Wissenspunkte teuer erkauft werden können, lohnen kaum der Investition. Sie bieten sich selten und nur dann an, wenn es keine besseren Alternativen gibt. Hier hätte das Spieldesign deutlich entschlackt werden können.

Cover des SpielsBei aller Originalität sowie der liebevollen und größtenteils stimmigen thematischen Einbettung des Spielmaterials: Die größte Zugangshürde stellt paradoxerweise das Spielthema dar. Zunächst ist der lateinische Titel anders als etwa bei "Agricola" (= ‚Bauer') kaum durch illustrative Hilfen für Nicht-Lateiner zu erschließen. Die Feinheiten der italienischen Sprachgeschichte sind weder Massengeschmack noch zielgruppenspezifisch, zumal die Mechanismen auch mit anderen Themen kompatibel wären. Wollte man den Strategiespielsektor allgemein mit einem TV-Spartensender wie "arte" vergleichen (anspruchsvoll und intellektuell herausfordernd, aber nur von wenigen gesehen), landete man beim Thema von "De Vulgari Eloquentia" auch dort im Nachtprogramm. Wer außer den historisch-philologischen Gebildeten kennt schon das "Rätsel von Verona", den "stupor mundi" oder den Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi? Sicherlich wäre dies die Gelegenheit für die Interessierten, manches wissenswerte geschichtliche Detail aufzuschnappen, doch bietet die Regel nicht diese wünschenswerten Informationen (auf BGG wurde diese Lücke nun von einem Nutzer geschlossen). Überhaupt die Regel: Die ist weder didaktisch sinnvoll aufgebaut noch immer eindeutig formuliert. Hinzu kommen kleinere Mängel in der deutschen Übersetzung des italienischen Originals sowie ein ärgerlicher Druckfehler in der auf dem Sichtschutz aufgedruckten Spielhilfe. Vor dem ungetrübten Spielgenuss steht daher zunächst das intensive Regelstudium und die Lektüre von Internet-FAQ. Wer diesen Aufwand jedoch nicht scheut, erhält ein gutes Strategiespiel, das nicht nur von Partie zu Partie neue Herausforderungen und Situationen bietet, sondern auch noch zügig zu spielen ist, wenn entscheidungsfreudige Mitspieler mit den einzelnen Aktionsarten und Siegpunktmöglichkeiten vertraut geworden sind. Vor allem in Runden ab vier Mitspielern ist "De Vulgari Eloquentia" allen zu empfehlen, die gerne Spiele jenseits des thematischen Mainstreams spielen. Wären da nicht die Abzüge in der B-Note (Druckfehler und Anleitung) und die kleineren Unzulänglichkeiten im überladenen Regelwerk, hätte es sogar ein Top-Spiel sein können. (thb)

Steckbrief
De Vulgari Eloquentia
Autoren Verlag Spieler Alter Spieldauer Gestaltung
Mario Papini Lookout Spiele 2 - 5 Spieler ab 14 Jahre ca. 120 Minuten Lamberto Azzariti, Guido Favaro, Eva Villa